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Sonntag, 29. August 2021
– KSW in Woltersdorf auf Linie
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Am
Sonntagmorgen hieß es „Auf nach Woltersdorf“. Von der Unterkunft
am Müggelsee führt der direkte Weg nach Woltersdorf über
Erkner. Der historische Betrieb bei der S-Bahn in Berlin ist seit der
von der S-Bahn Berlin 2009 selbst verschuldeten S-Bahnkrise eingestellt, historischer Fahrbetrieb muss künftig vom Verein Historische S-Bahn e.V. selbst organisiert und durchgeführt werden.
Die S-Bahn Berlin stellt dem Verein nach der Aufgabe des Schuppens Hundekehle
in Grunewald im Werk Erkner Kapazität zur
Verfügung, in der Anfangszeit konnte der Verein das Werk einige
Zeit ausschließlich nutzen. Inzwischen nutzt die
S-Bahn das Werk wieder für den täglichen Betrieb, so
dass einzelne Fahrzeuge im Freigelände geparkt sind.
Dazu gehört auch der frühere Hilfsgerätezug des S-Bw
Friedrichsfelde aus den Triebwagen 278 005 und 007 sowie den Beiwagen 278 006 und 008, welcher aus einem Zug der der Bauart Bernau (ab 1940 ET/EB 169)
hervorgegangen ist. Zu Beginn der 90er Jahre konnte der Verein einen
ET 169-Kopf aus dem Raw Schöneweide bergen, der dort seit dem
zweiten Weltkrieg als Schuppen gedient hatte. Mit Hilfe des
Originalkopfes und weiteren erhaltenen EB 169 wäre der
Wiederaufbau eines Museumszuges der Bauart Bernau denkbar gewesen.
In den 1990er Jahren schien dieses nicht unmöglich, doch haben
sich seitdem die Rahmenbedingungen derart gewandelt, dass das Ziel
eines Museumszuges der Bauart Bernau nicht mehr realistisch ist und
auch der Stellplatz endlich ist. Wie sehr die Freiabstellung dem Hilfsgerätezug zusetzt, sieht man am Morgen in
Erkner deutlich – der Materialwagen 278 007 ist inzwischen deutlich
verwittert. Im Hintergrund der Prototyp der BR 270, der 270 001 und der
Versuchszug-Triebwagen 275 959 der Bauart 1932a – welche
derzeit ebenfalls keinen Hallenplatz haben.
Der zweite Triebwagen des 1999 zum 75. Bestehen der Berliner S-Bahn
letztmals öffentlich im Betrieb gezeigten Hilfsgerätezuges –
der Mannschaftswagen 278 005 – wurde zwischenzeitlich an das Deutsche Technikmuseum Berlin (DTMB) verkauft, wo er nach Realisierung der geplanten Erweiterung der Eisenbahnausstellung ausgestellt werden soll.
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In
Woltersdorf scheint beim dortigen Straßenbahnbetrieb die Zeit
stehengeblieben zu sein. Hier gehören die inzwischen rund 60 Jahre
alten Gothawagen seit den 1970er Jahren zum alltäglichen Straßenbild. Während sie auf dem Gebiet der früheren DDR ab 1990 fast überall nach
und nach durch modernere Fahrzeuge ersetzt wurden, blieben die
Gothawagen in Woltersdorf Alltag – Neufahrzeuge wurden nicht beschafft,
die Triebwagen bei der Mittenwalder Gerätebau GmbH (MGB)
grundlegend aufgearbeitet und im Frontbereich nur leicht modernisiert
im historischen Erscheinungsbild weiterbetrieben.
Aktuell sind sieben
Gothatriebwagen im Bestand vorhanden, drei werden für den
täglichen Auslauf benötigt. Nach Aufgabe des
planmäßigen Beiwagenverkehrs im Mai 2006 sind noch zwei
Beiwagen der Bauart Gotha im Bestand, sie wurden seit 2015 nicht mehr im
Linienverkehr eingesetzt und sind im Betriebshof abgeplant
hinterstellt.
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Ein Merkmal des
Betriebes in Woltersdorf sind die historischen Fahrzeuge. Bereits Ende
der 1960er Jahre wurden in Berlin historische Fahrzeuge zur Erhaltung
vorgesehen, sie mussten die Gleise in Berlin verlassen und kamen über
Umwege nach Woltersdorf, wo sie zwischengelagert und mit der
Aufarbeitung begonnen wurde. Ab 1987 wurde der aus der
Ursprungsausstattung der Woltersdorfer Straßenbahn stammende Wagen 2 aufgearbeitet und zwischen 1999 und 2003 von Grund auf neu aufgebaut.
Mit dem KSW-Triebwagen 7 besitzt die Woltersdorfer Straßenbahn den erstgebauten Kriegsstraßenbahnwagen (KSW),
welcher 1944 nach Ende einer dreimonatigen Erprobungsphase in Berlin nach
Woltersdorf kam – im Januar 1944 hatte eine Luftmine große Teile
des eigenen Wagenparks schwer getroffen und Ersatz war dringend
benötigt. Der Tw 7 diente formell noch bis 1996 als Betriebsreserve,
erhielt 1992 eine sandbraune
Lackierung, wie sie der Wagen bei Auslieferung 1943 getragen haben soll. Im Zuge der Restaurierung des 1986 ausgemusterten
KSW-Beiwagens 22 erhielt der Triebwagen 7 im Jahr 1996 wieder die zu
DDR-Zeiten übliche crémefarbene Lackierung.
Aus Anlass des Woltersdorfer Sommerfestes übernahm der Triebwagen
7 einen der beiden Plankurse der Linie 87. Anno 2021 ist dieses noch ohne
große Abstriche möglich – als einzige
Einschränkung gegenüber den Gothawagen
verfügt der KSW-Triebwagen nur über 16 Sitzplätze,
während der in Woltersdorf aktuell noch übliche Gothawagen 22 Sitzplätze besitzt. Tw 7 verlässt die Hst
Thälmannplatz, im Hintergrund auf dem Militärfriedhof das Sowjetische Ehrenmal in Woltersdorf.
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Woltersdorf
ist am Rande des Berliner Urstromtals gelegen, die Gemeinde von
starken Höhenunterschieden im Ort geprägt. Am zentralen
Woltersdorfer Bereich mit Rathaus, Wochenmarkt und der St. Michael-Kirche passiert der Tw 7 die Rudolf-Breitscheid-Straße.
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Bekanntestes Motiv der Woltersdorfer Straßenbahn sind die Bögen der
Rudolf-Breitscheid-Straße vor dem Bauersee. Die Straßenbahn
fährt hier im Gegenverkehr und wechselt die Straßenseite. Tw
31 fährt am noch recht verkehrsarmen Sonntagvormittag in Richtung
Schleuse.
Neuester Gothawagen in Woltersdorf ist der Triebwagen 33, welcher in
Dresden seit 1991 als Kinderbahn diente und 1997 an das Theater Junge Generation abgegeben wurde, wo er lange für ein zuletzt nicht mehr aufgeführtes Musical (Linie 1) warb. 2008 übernahm ihn die Straßenbahn Woltersdorf
und nahm ihn nach grundlegender Aufarbeitung (u.a. in Gera)
im Mai 2018 in Betrieb. Von daher dachte niemand ernsthaft daran, dass
das Gothawagenparadies Woltersdorf in absehbarer Zeit in Frage gestellt
sein könnte.
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Das 2013 neu gefasste Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
schreibt ab dem 1. Januar 2022 die Realisierung der vollständigen
Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr vor und lässt künftig in den Nahverkehrsplänen der Kommunen nur
eng gefasste Ausnahmen zu.
Für Woltersdorf schien eine solche Ausnahmeregelung geplant, doch
verstarb die langjährige Geschftsführerin der Woltersdorfer Straßenbahn
unerwartet im Dezember 2017.
Zunächst übergangsweise übernahm die benachbarte Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn GmbH (SRS) im April 2018
die Betriebsführung der Woltersdorfer Straßenbahn, nach
einem Verhandlungsverfahren mit Aufruf zum
Wettbewerb ist
die SRS seit Januar 2020 über
einen Zeitraum von 22,5 Jahren für die Betriebsführung der
Woltersdorfer Straßenbahn
verantwortlich. Bereits bis 2004 hatte es eine gemeinsame Verwaltung
der beiden Überlandstraßenbahnen östlich Berlins
gegeben, ehe die Woltersdorfer Straßenbahn organisatorisch
getrennt wurde und die damalige Prokuristin der SRS, Monika Viktor, die
Geschäftsführung der Woltersdorfer Straßenbahn
übernahm
Zum Foto oben: Tw 31 verlässt an der Blumenstraße
aus Richtung Schleuse kommend die Schleusenstraße, wechselt die Straßenseite und wird gleich die
Rudolf-Breitscheid-Straße bergauf fahren.
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Die
Engstelle an der Blumenstraße dürfte so manchem
ortsunkundigen Autofahrer Schweißperlen auf die Stirn
treiben. Frisch saniert zeigt sich die Einmündung der
Blumenstraße.
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Sonntagvormittag
und kaum etwas los in Woltersdorf. Die Witterung lädt auch nicht
unbedingt zu Aktivitäten am Vormittag ein. Der KSW 7 quert die
Rüdersdorfer Straße – die Tatzlagermotoren sind unüberhörbar, als sich der KSW 7 die Steigung hinauf müht.
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Im
Juli 2021 schrieb die Woltersdorfer Straßenbahn unerwartet zwei
bis
vier Niederflurstraßenbahnen aus, welche ab 2023 geliefert werden
sollen. Bei einer Beschaffung von vier Wagen wären die Gothawagen
im Tagesgeschäft vollständig entbehrlich. Die Fahrzeuge
sollen 2,40 Meter
breit und klimatisiert sein, mindestens 30 Prozent Niederfluranteil und
eine maximale Länge von 15 Metern haben – die aktuellen
Gothafahrzeuge weisen eine Länge von 10,9 Metern auf. Als
kleinster
befahrbarer Radius wird 19 Meter angegeben.
Vor dem alten Schulgebäude
fällt die Rudolf-Breitscheid-Straße stark ab und die
Straßenbahn fährt in zwei Richtungen durch die
Einbahnstraße, der Autoverkehr bergauf wird nördlich durch die
Seestraße geleitet.
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Markant das Natursteinhaus an der Ecke Berliner Straße/ Puschkinallee.
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Die
erhaltene Wartehalle Fasanenstraße wurde inzwischen mit
Auftragsgraffiti bemalt, beim letzten Besuch in Woltersdorf im Juli 2014 war das Häuschen noch wild beschmiert.
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Tw
31 an der Ecke Berliner Straße/ Puschkinallee mit den markanten Siedlungsbauten entlang der Berliner Straße.
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Um
den Berliner Platz hat sich die Szenerie seit der Wende deutlich
verändert. Die im Hintergrund liegende Haltestelle Berliner Platz
– 2006 als Ausweichstelle ausgebaut – ist seit Ende Mai 2006 Endstelle
des in den Hauptverkehrszeiten pendelnden Einsatzwagens aus Rahnsdorf,
während bis dahin die Beiwagen zwei Haltestellen weiter bis zum
Thälmannplatz mitgeführt wurden.
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Am
Thälmannplatz ist die alte Wartehalle heute als Eiscafé
umgenutzt. Für kurze Zeit kämpfte sich die Sonne durch die
Wolken…
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…so
dass nochmals das markante Motiv Rudolf-Breitscheid-Straße
aufgesucht wurde. Tw 7 fährt in einem kleinen Wolkenloch in
Richtung Schleuse. Am Sonntagmittag muss der Fotograf schon Glück
haben, dass kein Auto das Foto bombt.
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Für
den Rest des Tages hatte sich die Sonne wieder verzogen, was aber nicht
von weiteren Fotos des solo und zum VBB-Tarif fahrenden Tw 7 abhielt,
obgleich eher die Gothawageneinsätze dokumentiert werden
müssten – der KSW-Triebwagen wird in Woltersdorf hoffentlich noch
eine lange, betriebsfähige Zukunft haben. Hier passiert der Wagen
an der Einmündung Berliner Straße/ Goethestraße ein
mit Motiven der Woltersdorfer Straßenbahn gestaltetes
Betriebsgebäude.
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Zum
Abschluss wurde vor der Rückreise der Tw 7 kurzerhand verfolgt,
was entlang der Berliner Straße recht einfach möglich ist.
Hier an der Einmündung Berliner Straße/
Robert-Koch-Straße.
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Tw 7 an der Hst Fasanenstraße.
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Die
Schleusenstraße wurde 2019 einschließlich des letzten noch
unsanierten Gleiskörpers saniert, dabei wurde auf die
zeitweise angedachte Verlegung des Gleises auf die andere
Straßenseite verzichtet, die Verlegung hätte
den zweimaligen Wechsel der Straßenseite vermieden. Tw 7
verlässt die Hst Krankenhaus.
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Im
Hintergrund die Endhaltestelle Schleuse, ab dort führt die Strecke
bis vor den Thälmannplatz stetig bergauf. An der Einmündung
Schleusenstraße/ Flakenstraße wechselt die Bahn das zweite
Mal die nun asphaltierte Straßenseite.
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Fotos
in Google Earth |
©
2021 Jan Borchers, www.bahnfotokiste.de |
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