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Freitag, 20. August 2021
– Mit dem Uerdinger auf den Spuren der VEV
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In
Niedersachsen gab bzw. gibt es eine Reihe von Privatbahnen, die
spätestens in den 1980er Jahren ihren Personenverkehr
eingestellt haben und zum Teil auch den Güterverkehr und damit
ihre Strecken aufgaben. Die Vorwohle-Emmerthaler
Eisenbahn-Gesellschaft AG (VEE) gehört dazu – sie stellte 1965
den Personenverkehr auf der VEE ein und wollte auch den Güterverkehr
aufgeben, was damals die örtliche Wirtschaft und Politik verhinderte.
Im Mai 1967 gründeten der Landkreis Holzminden, die anliegenden
Gemeinden und die örtliche Industrie für den Weiterbetrieb der VEE eine
Auffanggesellschaft, die Vorwohle-Emmerthaler
Verkehrsbetriebe GmbH (VEV), die VEE wurde daraufhin noch im
gleichen Jahr aufgelöst. Die VEV nahmen 1968 auch den 1965
eingestellten Personenverkehr wieder auf, ab 1974 kurzzeitig nochmals auf der
Gesamtstrecke. 1975 wurde der Personenverkehr wieder auf den Abschnitt
Emmerthal – Kirchbrak reduziert und dort noch bis 1982 aufrechterhalten.
Zuletzt nutzte die VEV Uerdinger Schienenbusse für den Personenverkehr,
darunter den 1960 für die Kleinbahn
Weidenau - Deuz gebauten VT27. Der VT27 wurde 1968 nach
Einstellung des Personenverkehrs an die Eisenbahn AG Altona - Kaltenkirchen -
Neumünster (AKN) verkauft, die ihn bis 1977 als VT2.24
einsetzte. Nach Zugang der Neubaufahrzeuge vom Typ VT2E wurde der VT2.24
an die VEV verkauft, wo er bis zur Einstellung des Personenverkehrs
1982 als VT2 zum Einsatz kam. Seit 1983 ist der Triebwagen Eigentum
der IG Schienenbus Seelze e.V. (ISS)
und seit 2011 als VT96 901 leihweise
beim Förderverein Eisenbahn
Rinteln-Stadthagen e. V. (FERSt) im Einsatz.
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Der
Güterverkehr verlor an Bedeutung und ab dem Jahr 2000 war die VEV
bis auf die gelegentliche Bedienung des Kernkraftwerkes Grohnde auf
gesamter Länge ohne Verkehr, die VEV-Strecke wurde nur noch zum
Abstellen von nicht benötigten Kesselwagen genutzt. Ab
2003 ruhte der Betrieb östlich des Kernkraftwerkes praktisch völlig.
Der
Abschnitt Emmerthal – Bodenwerder war die Jahre formal nicht
stillgelegt, wurde von den VEV aber vernachlässigt – was im Juni 2011
zum Einschreiten des Eisenbahnbundesamtes
(EBA) führte, welches nötige Instandhaltungsarbeiten an der nicht
stillgelegten Strecke einforderte. Östlich Bodenwerder wurde die
Strecke ab 2013 als
Draisinenstrecke genutzt – im weiteren Verlauf ab Dielmissen bis
Vorwohle das Gleis um 2006 abgebaut.
Auf dem Foto könnte eine 364 oder 365 am
Rande des Weserberglands Kesselwagen zur Abstellung von Emmerthal nach
Grohnde fahren, wie es vor rund zwanzig Jahren gelegentlich vorkam.
Real war es am 20. August 2021 im Rahmen einer Fotofahrt und mit der
V60 762 der Dampfeisenbahn Weserbergland e.V. (DEW).
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Die 364 762
wurde wie der VT2 im Jahr 1960 gebaut und von Henschel
als V60 762 (30051/60) an die Deutsche Bundesbahn
ausgeliefert. Die seit 1979 in ozeanblau/beige lackierte Lok wurde 2006
bei der DB ausgemustert und an die Rhein-Sieg-Eisenbahn
GmbH (RSE) abgegeben. Im April 2019 wurde die Lok von der RSE an
die DEW verkauft, die die Lok seit ihrer
Hauptuntersuchung vornehmlich im
Wagenabstellverkehr von und nach Hameln einsetzt – im
Rahmen einer Neulackierung in ozeanblau/beige Ende 2020 wurde die Lok als V60 762 beschriftet.
2012 wurde die Infrastruktur der VEV zur
Übernahme
durch Dritte ausgeschrieben, im Jahr 2015 übernahm das an der Vorwohle-Emmerthaler Eisenbahn gelegene Unternehmen Kieswerk Lammert + Reese GmbH & Co. KG
die Strecke und
begann zügig mit der Wiederbefahrbarmachung bis zum
Kieswerk in Bodenwerder. Im Dezember 2015 fuhr der erste Güterzug mit
Kies,
heute wird die Strecke zweimal wöchentlich mit Kieszügen befahren –
gelegentlich wird in Grohnde Holz auf die Bahn umgeschlagen.
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Im Vorwege
der Bereisung der früheren VEV-Trasse wurde der VT96 901 mit
zeitgenössischer Werbung für das noch heute gebraute „Allersheimer
Urpils“ und mit VEV-Logos versehen. Der einmotorige Schienenbus wurde bei
der AKN mit vom Führerstand aus umschaltbarer Zugspitzen-/
Zugschlussbeleuchtung versehen – was so ziemlich die einzige
äußerlich sichtbare Modernisierung in seinem Fahrzeugleben gewesen sein dürfte, ehe er im Alter von 23
Jahren in Seelze zum Museumsfahrzeug wurde.
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Heute sind
von der am 9. Oktober 1900 eröffneten, 32 Kilometer langen VEE noch
zwölf Kilometer in Betrieb. Wenn man rund acht Stunden Zeit für diese
zwölf Kilometer Strecke hat, kann die Zeit entspannt für die
Motivgestaltung – und Warten auf Sonne – genutzt werden.
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Am Fuße des
236 Meter hohen Ruhbergs beginnt der steigungs- und kurvenreiche
Abschnitt der Strecke. V60 762 nahe des auf der anderen
Weserseite gelegenen Ortes Hajen.
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Die
Streckenneigung macht es erforderlich, dass die beladenen Sand- und
Kieszüge aus Bodenwerder in zwei Teilen bis zum Bahnhof Grohnde
gefahren werden müssen, ehe sie dort zu den fertigen Ganzzügen
vereinigt werden. Nach Bodenwerder hat die V60 762 mit den beiden
Kesselwagen leichtes Spiel.
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Die Wolken
wurden dichter, aber einmal kam die Sonne noch heraus und tauchte den
VT96 901 in etwas Sonnenlicht.
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In Hehlen
war Mittagspause und die im Uerdinger Reisenden konnten sich im Ort in
der Bäckerei stärken, ehe die Rückfahrt angetreten wurde. Nahe des Bü
An der Fähre wird der VT96 901 von einem Trecker
überholt. In Hehlen dürfte der ungewohnte, aber von früher bekannte Gast sicher
zum Tagesgespräch geworden sein.
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Vor der
Kulisse des an der B83 gelegenen Werkes der Kalkwerk Hehlen GmbH
erklimmt die V60 724 die Steigung gen Grohnde.
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Vor der
Landschaft des Weserberglandes V60 762 mit ihren beiden Kesselwagen.
Angesichts der aktuell vorherrschenden Witterung war die Fahrt perfekt
getimt, der Himmel zog rund um die Mittagspause zu und am späten
Nachmittag klarte es nochmals auf.
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Der nahende
Herbst wird allmählich sichtbar. Einfahrt in den Bahnhof Grohnde.
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Durchblick
auf die Gemeinde Grohnde. V60 762 auf der Brücke über die Bahnhofstraße.
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Die beiden
Akteure des Tages im Bahnhof Grohnde. Die Strecke Emmerthal –
Bodenwerder wurde ab 2017 für rund neun Millionen EUR saniert und der
Ausbau über das 2013 verabschiedete Schienengüterfernverkehrsnetzförderungsgesetz
(SGFFG) vom Bund gefördert. Neben dem Aufbau der
Verladeeinrichtungen im Kieswerk Bodenwerder wurde u.a. der Bahnhof
Grohnde mit seinen drei Gleisen umfassend saniert. Nach ersten
Holzzügen im Jahr 2018 wurde im Mai 2019 der regelmäßige Sand- und
Kieszugverkehr aus Bodenwerder aufgenommen.
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Sechs
Atomkraftwerke werden in Deutschland aktuell noch betrieben. Das Kernkraftwerk Grohnde (KWG) wurde
zwischen 1975 und 1984 errichtet – der Druckwasserreaktor hat eine
thermische Nennleistung von 3.900 Megawatt, die elektrische
Nettoleistung liegt bei etwa 1.360 Megawatt.
Nachdem noch 2010 eine
Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke beschlossen
wurde,
wurde nach der Katastrophe von Fukushima im März 2011 im Juni 2011
das
Atomgesetz mit großer Mehrheit erneut geändert, so dass
spätestens Ende
2022 das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz geht. Für das 1984
in
Betrieb gegangene KWG bedeutet der Atomausstieg, dass es bis Jahresende
2021 abgeschaltet werden muss – es kann seit Frühjahr 2019 nur
noch durch von anderen, bereits stillgelegten Kernkraftwerken
übertragene Reststrommengen am Netz gehalten werden.
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Maximal vier
Monate werden die hinter dem Reaktorgebäude des KWG
gelegenen Kühltürme noch im Zuge der
Energieerzeugung Dampfwolken abgeben. Der Abschluss des Rückbaus des
KWG ist zum Jahr 2040 vorgesehen.
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Energieerzeugung
auf drei Ebenen: Links die von Politik und Wirtschaft gerne als
saubere Energieerzeugung gepriesene Kernkrafttechnik, rechts
Stützpfeiler der neuzeitlichen Energiewende – die Windkraftanlagen (WKA).
In der Mitte der klassische Dieseltriebwagen wie er in Form des einst
„die Nebenbahnen rettenden“ Schienenbusses eigentlich längst im Ruhestand ist.
Aber auch der „moderne“ Dieseltriebwagen wird keine große Zukunft mehr haben
– neue Fahrzeugprojekte für nichtelektrifizierte Strecken basieren
entweder auf der Hybridtechnik mit Batterien als Energiespeicher oder der
Wasserstofftechnik. Die Zukunft wird zeigen, welche der „sauberen“
Energieträgerformen sich durchsetzen wird und wie sauber sie in der
Ökobilanz wirklich sind.
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Fotos
in Google Earth |
©
2021 Jan Borchers, www.bahnfotokiste.de |
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