|
|
|
|
|
|
|
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
8 |
9 |
10 |
11 |
12 |
13 |
14 |
15 |
16 |
17 |
18 |
19 |
20 |
21 |
22 |
23 |
24 |
25 |
26 |
27 |
28 |
29 |
30 |
31
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Sonntag, 3. Juli 2022
– Ameisenbär lernt bremsen
|
|
|
|
Im Februar 2022 konnte die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsfreunde
Lüneburg e.V. (AVL) kurzfristig den VT 0508 der OHE
übernehmen, nachdem diese keine weitere Einsatzperspektive mehr
sah. In den letzten Jahren lief die Vermarkung über die
OHE-Tochter erixx GmbH,
welche bis Dezember 2021 das Heidekreuz
im Regionalverkehr bedient hat – seit Dezember 2021 verkehrt die DB
nach
zehn Jahren Abstinenz wieder auf dem Heidekreuz, DB Regio delegierte
den Betrieb an ihr Tochterunternehmen
Regionalverkehre Start Deutschland GmbH.
Der VT 0508 hat 2018 seine letzte Hauptuntersuchung bekommen und war
zur Saison 2019 letztmals auf der seit 1973
regelmäßig gefahrenen Sommerroute Soltau – Döhle und
zurück unterwegs. Die AVL kann mit dem VT 0508
ein weiteres klassisches OHE-Fahrzeug erhalten, nachdem die AVL mit dem
DT 0511 im Herbst 2019 bereits den schnauzenlosen LS SK2 der Kleinbahn Lüneburg–Soltau
erwerben konnte.
In den letzten Monaten waren die Aktiven der AVL mit Arbeiten an der
Bremsanlage beschäftigt, da bei der Überführung aus
Celle Mängel aufgetreten waren.
Bevor das Fahrzeug für den Touristikverkehr freigegeben
werden kann, stand heute eine Probefahrt auf der Elbmarschbahn von Winsen Süd
nach Niedermarschacht an, auf der bis 2016 in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Geesthachter Eisenbahn
e.V. (GE) und den Verkehrsbetrieben
Hamburg-Holstein (VHH) regelmäßige Touristikverkehre
angeboten wurden. Hier steht der VT 0508 im Bf Winsen Süd zur
Abfahrt nach Niedermarschacht bereit.
|
|
|
|
Der Triebwagen der Bauform A wurde
1937 durch das Landeskleinbahnamt
der Provinz Hannover bei der Waggonfabrik
Wismar bestellt und mit der Fabriknummer 20299 am 13. Dezember
1937 Jahres an die Kleinbahn
Winsen–Evendorf–Hützel (WEH) als T 3 ausgeliefert. Mit der
am 10. Juli 1944 erfolgten Fusion mehrerer Kleinbahnen zur Osthannoversche Eisenbahnen AG (OHE)
kam das Fahrzeug zur OHE und wurde fortan als VT 00508 bezeichnet.
Außerdem wechselten mit den Triebwagen VT 00506 (SK 1, Bauform B, WEH), VT 00507 (SK 2, Bauform B, WHE) und VT 00509
(SK 2, Bauform C,
Bleckeder Kleinbahn) drei weitere Wismarer Schienenbusse mit
Motorvorbauten zur OHE.
Am Bf Tönnhausen wurde die
Fahrerlaubnis nach Niedermarschacht eingeholt. Hier zweigen die Gleise
nach Tönnhausen Umschlagbahnhof ab, in welchen
regelmäßig Kalizüge entladen werden. Weiter nach
Niedermarschacht verkehrt heute nur noch dreimal wöchentlich ein
Güterzug zum Anschluss der Bruno
Bock Chemische Fabrik GmbH & Co. KG, hier werden Kesselwagen
zugestellt.
|
|
|
Gebaut wurden ab 1932 57 Triebwagen
der Bauformen A bis E, welche sich in kürzere und längere
sowie schmalspurige Type aufteilten. Je ein handelsüblicher Ford
BB Benzinmotor zu 50 PS und ein gewöhnliches Schaltgetriebe trieb
die jeweils in Fahrtrichtung vorn laufende Achse an. Stauraum für
Traglasten und Expressgut gab es neben den Motorvorbauten und auf dem
Dach.
Klassisches Fotomotiv an der
Elbmarschbahn ist der Hp Mover. Der Personenverkehr auf der am 1. April
1912 eröffneten Strecke wurde am 21. Mai 1966 stillgelegt. Viele
Bahnsteige sind heute noch erkennbar, auch wenn sie seit 2017 nicht
mehr genutzt werden.
|
|
Seine aktuelle Lackierung mit
Zierstreifen am Fenstergurt trägt der VT 0508 seit Ende der 70er
Jahre. Seither
haben die Wagenseiten gelegentlich Beschriftungen des Eigentümers
oder des Einsatzzwecks gehabt. Historisch aus Zeiten des
Ausflugsverkehrs als Ameisenbär nach Döhle sind die
seitlichen Zuglaufschilder.
|
|
Die markantesten Motive der
Elbmarschbahn liegen entlang der Ilmenau, wo die Strecke in Höhe
Fahrenholz in Höhe des Sperrwerks kurz auf dem Deich
verläuft. Hier der VT 0508 am Anstieg auf Deichhöhe.
|
|
Mit etwas mehr Höhe das Motiv
mit Reetdachhaus.
|
|
Der Rottorfer Weg quert in
Fahrenholz die Ilmenau.
|
|
Bis Ende 2016 wurde in Fahrenholz
als Ersatz für zwei Altanlagen in Fahrenholz und Barum ein neues
Schöpfwerk errichtet, welches bei Hochwasser das
Wasser aus der Neetze in die Ilmenau pumpt – hinter den runden Fenstern
liegen die Pumpen, welche 200 Badewannen je Sekunde füllen
könnten.
|
|
Streckenende am Anschluss Bock. Bis 1996
führte die Elbmarschbahn durch den Anschluss noch rund einen
Kilometer weiter bis zum Bf Niedermarschacht, diese Strecke ist heute
abgebaut. Hier wird am Streckenende Niedermarschacht Achterdeich mit
körperlichem Einsatz die Erwärmung der Bremsanlage
überprüft.
|
|
Für die mittägliche
Rückfahrt der Übergabe nach Maschen ist die Durchfahrt
Fahrenholz das Motiv. Der
Wismarer Schienenbus der „Bauform A“
verliert sich im Gegensatz zu den Güterzügen fast in der
Landschaft.
|
|
Die Strecke entlang der Ilmenau ist
eine beliebte Radlerstrecke. Der bei der OHE Ameisenbär genannte Wismarer
Schienenbus erregt durch sein
markantes Erscheinungsbild Aufsehen wie kaum ein anderes Fahrzeug.
Egal, wo man stoppte – der Triebwagen war umgehend umlagert von
interessierten Sehleuten und der eine oder andere Zufallsgast
entpuppte sich als Spender für den Kauf des VT 0508.
Heute wäre mancher wohl spontan zugestiegen, wenn es
denn möglich gewesen wäre. Fahrrad einfach auf die Vorbauten
an
den Motorhauben, wie es einst auch üblich war. Vielleicht ergibt
sich ja einmal die Chance, die früheren Kooperationsfahrten mit GE
und VHH wiederzubeleben. Im Hintergrund sind auf der
schleswig-holsteinischen Elbseite das AKW
Krümmel und das
Pumpspeicherwerk zu sehen – an denen die GE mit ihrem Museumszug vorbeikommt
und die
VHH die beiden Bahnen bis 2016 mit einem historischen Omnibus verband.
|
|
Auf der Rückfahrt wieder am
Rottorfer Weg, die Ilmenau querend. Diesmal bodenständig und mit
den allgegenwärtigen Radausflüglern.
|
|
Es war schwer, den VT 0508 hier
einmal ohne Sehleute aufzunehmen. Von den vier für die OHE
gebauten Fahrzeugen ist neben dem VT 0508 noch der VT 0509 der „Bauform
C“ erhalten, welcher 1965 an die Hamburger
Verkehrsamateure verkauft wurde und aus denen 1968 der Verein Verkehrsamateure und Museumsbahn
e.V. (VVM) hervorging. Der VT 0509 wurde beim VVM bis 2005
wieder als T 2 der Bleckeder
Kleinbahn hergerichtet, aktuell ist die neuerliche Aufarbeitung
und Hauptuntersuchung am Schönberger Strand in der Endphase.
|
|
Der Wismarer Schienenbus war
einfach konstruiert. Die Bedienelemente für den
Triebwagenführer waren nach technischen Belangen angeordnet. Der
Arbeitsplatz des Triebwagenführers mutet heute völlig fremd
an. Gefühlt konnte er mit Müh und Not über die
Fensterkante schauen.
Die Gestaltung der Wismarer setzte sich noch in der Vorserie
für die Uerdinger Schienenbusse fort, ehe die Serienfahrzeuge
einen fast ausgewachsen wirkenden Arbeitsplatz – noch immer mitten
im Fahrgastraum – bekamen.
|
|
Am ehemaligen Hp Nettelberg quert
die Elbmarschbahn auf einer imposanten Brücke die Ilmenau.
Während sich Brückenbauten der DB meist in
vernachlässigten Zuständen zeigen, wo der Rost freie Bahn
hat, kümmerte sich die OHE – heute Schieneninfrastruktur Ost-Niedersachsen
GmbH (kurz SInON) – um ihre Brückenbauten. So ist die
Ilmenauquerung heute in bestem Zustand, auch wenn einzelne Abzehrungen
nicht zu übersehen sind.
|
|
Der Casus knacksus – die Trommelbremse
des VT 0508 (hier in
teildemontiertem Zustand). Sie arbeitete am Triebwagen nicht so,
wie eine sauber eingestellte Bremse arbeiten muss. Hier galt es
Ursachenforschung zu betreiben und die Ursachen abzustellen. Blöd
nur, wenn die Ursachen nicht eindeutig feststellbar sind und
schrittweises Herantasten nötig ist.
Der Wismarer Schienenbus ist technisch ein Auto und so wird die
Trommelbremse wie bei einem Auto bedient – die Bremsflüssigkeit
übt den nötigen Druck auf die Bremse aus, der Bremszylinder
bringt gegen Federdruck die nötige Bremskraft auf. Wenn die Federn
dann nicht für die korrekte Entspannung der Bremse sorgen liegt
ein Problem vor, was es abzustellen gilt.
|
|
In den Einsatzjahren ist die
Inneneinrichtung beim VT 0508 nicht wesentlich verändert worden,
nur Verschleißteile wurden bedarfsgerecht gegen neues
Material ersetzt.
|
|
|
Für die OHE war der VT 0508
ein Betriebsfahrzeug und es wurden im Laufe der Jahre die nötigen
Arbeiten für die Erhaltung des Fahrzeugs getätigt, ohne das
Fahrzeug als klassiches Museumsfahrzeug zu sehen. Der
Noppenfußboden, in den
1970er Jahren in Mode, hat so bis heute im Fahrzeug Bestand. Wurden
früher die Wismarer Schienenbusse von zwei 50
PS-Ford-Benzinmotoren angetrieben hat der VT
0508 im Jahr 1999 einen neuen Dieselmotor von Mercedes-Benz erhalten,
welcher ein Wende- und Automatikgetriebe besitzt. Bei diesem Umbau
erhielt der VT 0508 ein neues Armaturenbrett, welches die neue
Antriebstechnik steuert, nur Bremse, Handbremse und Sandstreuhebel
entsprechen noch der ursprünglichen Technik.
Der zweite, originale Motor blieb eingebaut – er dient dem
Gleichgewicht und der musealen Darstellung. Bei dieser Modernisierung
wurden zwei neue Bedienpulte zur Steuerung der neuen Antriebsanlage
installiert. Einzig der auf der Seite des originalen Motors erhalten
gebliebene Schaltknüppel weist auf diese Besonderheit hin.
|
|
|
Der Wismarer Schienenbus
der Bauform A und seine
aktuellen, gummibereiften Nachfolger. Letztlich konnte auch der
Schienenbus nach anfänglichen Erfolgen das Nebenbahnsterben nicht
aufhalten und so mancher Standort der einstigen
Privatbahnen – wie der Schuppen im Bf Winsen Süd –
ist heute Standort von Busunternehmen.
|
|
Die Werkstattprobefahrt nach
Niedermarschacht war mäßig erfolgreich. Die vier
Trommelbremsen erwärmten sich ungleichmäßig und je nach
Fahrtrichtung unterschiedlich. Über den Nachmittag wurde am
erkannten Kernproblem geschraubt und Ursachenforschung betrieben. Jeder
Werkstattkunde wäre mit seinem privaten Auto danach einen hohen
dreistelligen Betrag los gewesen – bei mäßigen
Erfolgsaussichten.
Ersten Bremsprobefahrten im Bf Winsen Süd folgte eine weitere
Probefahrt gen Salzhausen. Diese zeigte einen Erfolg an der
problematischen Bremstrommel, aber wieder Ungleichheiten an den anderen
Trommelbremsen – so dass das Ziel Salzhausen nicht mehr erreicht wurde
und die Erkenntnisse aus der Zerlegung der ersten Bremstrommel
erfolgreich auf die
weiteren angewendet wurden. Hier bei den Bremsprobefahrten im Bf Winsen
Süd. Mein Dank gilt den
Aktiven der AVL für die Ermöglichung der Teilhabe an den
Arbeiten zur Inbetriebnahme des Wismarer Schienenbusses.
|
|
Fotos
in Google Earth |
©
2022 Jan Borchers, www.bahnfotokiste.de |
Nach
oben |
|