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Sonntag, 23. August 2020
– Rückkehr der Reichsbahn für einen Tag
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Gelegentlich
sind Zeitreisen auf der Schiene noch möglich. In über 30 Jahren nach
der Wende sind viele Bahnstrecken saniert oder stillgelegt worden,
manches Mal auch beides nacheinander – so manche sanierte Strecke wurde
vom Aufgabenträger abbestellt. Die 1869 eröffnete Strecke
Nordhausen – Erfurt gehört zu den eingleisigen Hauptstrecken mit
Verbindungswirkung, was aber auch nicht immer vor Abbestellung
geschützt hat. Die frühere Nordhausen-Erfurter Eisenbahn (NEE), 1887
verstaatlicht, gehört zum Kernnetz der DB und soll seit Jahren für 120
km/h ausgebaut werden. Seit bald 10 Jahren laufen die Planungen und
zuletzt hieß es Baubeginn noch in diesem Jahr.
Die Strecke ist eine der letzten Hauptstrecken im Osten
Deutschlands, die noch nicht modernisiert worden sind. Erschienen
solche Strecken zur Wende 1989 noch als
gepflegte Infrastrukturen, so ist der Erneuerungsbedarf heute nicht
mehr zu übersehen. Die bevorstehende Erneuerung war Anlass für
Fotoenthusiasten in kleiner Runde nochmals die Zeit der Deutschen
Reichsbahn in den 1980er Jahren aufleben zu lassen. Meist werden
solche Fahrten mit Dampflokomotiven durchgeführt, doch auch die
„Petroleum-P8“ sind im Personenverkehr längst Geschichte. 112 481 fährt
am frühen Sonntagmorgen in den Bf Kleinfurra ein.
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Der
früher weitläufige Bahnhof Kleinfurra besitzt noch ein Kreuzungsgleis.
Was 30 Jahre Verfall bewirken, sieht man am Bahnhof Kleinfurra
deutlich. Zu DDR-Zeiten hatten die Bahnhöfe ihre Funktion durchweg
behalten. Die DB verzichtete meist – wie schon im Westen – auf eine
weitere betriebliche Nutzung und überließ zahllose Gebäude sich selbst,
bzw. verkaufte diese nicht selten in Paketen an (Finanz-)Investoren. Die
Zukunftsprognose des Bahnhofsgebäudes in Kleinfurra dürfte in
Anbetracht des Zustandes keine allzu positive mehr sein.
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Doch
für einen Tag kehrte die gute, alte Zeit nochmals zurück – der in einem Film des DDR-Fernsehens von 1977 dargestellte „Rasende
Roland“ fährt noch einmal die nicht selten mit
gutaussehenden jungen Frauen besetzten Bahnhöfe entlang der Strecke an.
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112
481 hat umgesetzt und fährt gen Wasserthaleben aus. Die Lok wurde 2017
an das neugegründete Unternehmen MaS Bahnconsult
verkauft und mit viel
Detailliebe weitgehenst in den Zustand der 1980er Jahre zurückversetzt.
Im Zug auch einer der noch zu Beginn der 1990er Jahre allgegenwärtigen
Packwagen der Bauart Pwg. Es sind von den Pwg einige erhalten
geblieben, aber nur der Staßfurter 40 50 940-0379-6 dürfte aktuell
gültige Fristen haben.
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Ausfahrt
Sondershausen. Die Sonne zierte sich leider etwas, als 112 481 aus dem
Bahnhof ausfuhr. Links der Förderturm des Petersenschachts. Im Oktober
1909 wurde der Schacht II in 790 Metern Teufe in der Nähe vom Sondershäuser
Hauptbahnhofs und des Dorfes Bebra niedergebracht. Der Schacht II
gehört zu den ersten vier in Deutschland geteuften Zweitschächten in
der Kaliindustrie. Da das Werk am Einfallstor der Residenzstadt – dem
Bahnhof – entstand, sollte nach fürstlicher Anordnung die
Bergwerksanlage eine ästhetisch anspruchsvolle Gestaltung erhalten. Sie
ziert noch heute museal restauriert die Szenerie.
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Die
Blockstelle Hohenebra Ort bedient zwei Schrankenanlagen und ein
Jüdel-Kurbelwerk mit einem Blocksignal nach Hohenebra. Im Zuge der
Modernisierung der Strecke wird sowohl die Blockstelle wie auch der
Verkehrshalt entfallen.
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In Wasserthaleben freut sich Roland Dieser alias Martin S. über die ihn freudig erwartende Bahnsteigaufsicht.
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Bevor es wieder in Richtung Erfurt geht, macht der rasende Roland noch das nächste Treffen mit der charmanten Neline klar.
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Auf
der Infrastruktur der Strecke scheint die Zeit wirklich stehengeblieben
zu sein – die im Osten nicht selten rasch nach der Vereinigung der
beiden Staatsbahnen erneuerten Hektometertafeln haben hier bis heute
überlebt.
Ob der Oberbau auch noch aus dem Ausbau- und Erneuerungsprogramm der DR aus den 1970er Jahren stammt, wo erst (zu)
spät das Alkaliproblem der verbauten Betonschwellen erkannt wurde und
dieses die Haltbarkeit der sanierten Strecken drastisch reduzierte? (Nein natürlich nicht, der Oberbau dieser Strecke wurde nach der Wende erneuert)
Moment – ist das nicht Neline, die sich über die Fotografen an der
Strecke freut? Jürgen lässt eben nichts anbrennen… Ist der Bahnhof
Wasserthaleben nun ohne Aufsicht?
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Die
Zeitmaschine hat funktioniert. Am 23. August 1988 fährt die 112 481 in
den Bahnhof Wasserthaleben ein. Die Weichenwärterin des Stellwerks „Tw“ (für Thaleben West) hat endlich
den lange Jahre erwarteten Trabant erhalten, mit dem sie nun einfacher zum
Dienst kommen kann. Den Tag zuvor haben – vom Klassenfeind unterstützte
– subversive Elemente die Stellwerkswand bemalt, wurden aber von der
Trapo gestellt. Sie mussten in der Nacht mit Schrubber und Seife die
Wand reinigen.
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Nicht
ganz perfekt ist die Zeitreise in Kühnhausen realisierbar. Die
Bahnsteiganlagen wurden auf noch niedrigem Niveau saniert.
Aktuelle Sanierungen erfolgen je nach Bundesland als Neubau mit 550 oder 760
Millimeter Bahnsteighöhe mit Industriekomponenten und taktilen
Leitstreifen. Die markanten und fast ausgestorbenen Pilzleuchten
haben hier bisher überlebt, auch ist das Bahnhofsgebäude mit dem Fahrdienstleiter besetzt. Einst
unverzichtbarer Bestandteil der örtlichen Stellwerke: der Scheinwerfer
für die Fahrwegprüfung.
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An
dieser Stelle muss die Zeitreise einmal brutal unterbrochen werden. Wir
schreiben das Jahr 2020 und die Deutsche Reichsbahn ist seit 26 Jahren
Geschichte. Viele Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) haben sich seitdem
gegründet und führen diskriminierungsfrei Verkehre auf dem deutschen
Schienennetz durch.
Seit einigen Jahren gibt die DB als einstiges Monopolunternehmen auch Streckenloks an private
Unternehmen ab. Aktuell hoch im Kurs stehen die Loks der BR 218 als
letzte noch eingesetzte Vertreterinnen der V160-Lokfamilie. Auch die
aus der Initiative zur Erhaltung der Rennsteigbahn 1999 gegründete
Rennsteigbahn GmbH & Co. KG, Betreiberin der Strecke Ilmenau
– Rennsteig, hat 2019 eine Lok der BR 218 – die 218 492 – beschafft und
setzt sie hauptsächlich als Nachfolgerin einer Lok der BR 228 (ex-DR V180) in neutraler Farbgestaltung im Güterverkehr ein. Hier fährt
sie mit einem leeren Holzzug durch den Bahnhof Straußfurt.
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Moderne
Eisenbahn heißt nicht nur verfallene Bahnhofsanlagen, hier der Bf
Staußfurt mit dem aufgegebenen und zusammen mit dme Empfangsgebäude verkauften
Hausbahnsteig. Moderne Eisenbahn heißt auch viele verschiedene
Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU). Was das bedeuten kann, war im
Anschluss an diese Einfahrt zu spüren. Infrastruktur, die die DB Netz
AG nicht mehr betreiben will, muss vor der Stilllegung zur Übernahme
ausgeschrieben werden. Findet sich ein Interessent, wird diese
vollumfänglich von ihm weiterbetrieben. Was aber nicht 24 Stunden
besetzte Stellwerke bedeutet.
Seit 2005 ist die Streckeninfrastruktur der „Pfefferminzbahn“ Straußfurt – Großheringen von
der DB Netz AG an die Thüringer Eisenbahn GmbH verpachtet. Zu dieser
Infrastruktur gehört die Ausfahrt aus Straußfurt von Gleis 1. Durch
mängelbedingte Sperrungen von Weichen und Gleisen im Bf Straußfurt ist
der Bahnverkehr auf der Strecke Nordhausen – Erfurt aktuell abweichend.
Eigentlich sollte der Fahrplan des Fotozuges entsprechend angepasst
werden, doch unterblieb offenbar bei der Erstellung des Fahrplans die
Unterrichtung der Thüringer Eisenbahn GmbH, so dass die 112 481 nach
Einfahrt auf Gleis 1 mangels Besetzung des Stellwerkspostens sprichwörtlich gefangen war. Ein Umlaufen der Lok
war nur über die Infrastruktur der Thüringer Eisenbahn GmbH möglich,
welche offenbar aber von DB Netz keine Kenntnis über das Verkehren eines
Sonderzuges erhalten hatte. So entfiel nach hektischen Telefongesprächen eine
Pendelfahrt nach Kühnhausen und es wurde zur nächsten
Planabfahrt gen Nordhausen über den südliches Bahnhofsbereich auf Gleis 4 umgesetzt.
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Noch
optimistisch gestimmt schließt der zweite Lokführer der 112 481 die
Zugschlusstafeln des Pwg. Insgesamt 240 Fahrzeuge der Bauart Pwg(s) 88
hat der VEB Waggonbau Bautzen zwischen 1957 und 1959 an die Deutsche Reichsbahn geliefert.
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Eigentlich
waren acht Stunden Sonne für den Tag und eine Windwarnung vorgesehen,
doch hatte das Wetter offenbar Verspätung. Abgesehen von der
mittäglichen Ankunft in Wasserthaleben sah man die Sonne bisher
praktisch gar nicht. Zum Nachmittag änderte sich das und Wind kam auch
auf. Bei bestem Nachmittagslicht wartet 112 481 im Bf Wasserthaleben
auf die Weiterfahrt in Richtung Sondershausen. Im Vorbau des offenbar
an Privat verkauften Bahnhofsgebäudes ist noch das
Fahrdienstleiterstellwerk „Tb“ (für Thaleben) der Bauart Jüdel untergebracht.
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In
frühen Zeiten der Bahn waren Bahnbewachungsdienst und Verkehrsdienst
getrennt, entsprechend waren die Schranken durch Dienstposten des
Bahnbewachungsdienstes gesichert. In der kleinen Betriebsstelle
Hohenebra Ort (Ho), welches
nur ein Blocksignal in Richtung Hohenebra stellt, ist die
Schrankenkurbel längst auf dem Bahnsteig montiert und wird vom
Blockwärter bedient. Entsprechend verfallen ist das Gebäude des
einstigen Schrankenwärterpostens.
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Um
17.28 Uhr erscheint die 112 481 mit ihren drei Bghw-Wagen und dem Pwg
am Zugschluss endlich auf der Bildfläche und passiert bei bestem
Abendlicht den Bk Hohenebra Ort. Gut, dass auch das Wetter Verspätung
hatte – noch eine Stunde zuvor zeigte die Wetterprognose für
den Zeitpunkt der Durchfart ein dichtes Wolkenfeld über Hohenebra an.
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Da fährt sie hin, die Deutsche
Reichsbahn von einst. Eigentlich längst Geschichte, doch gelegentlich
noch einmal für einen Tag zu erleben. Ein großes Danke an alle, die das
möglich gemacht haben.
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Fotos
in Google Earth |
©
2020 Jan Borchers, www.bahnfotokiste.de |
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