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1. August – Hochzeit für den V2
7. August – LEW-Loks 30 Jahre nach der Einheit
11. August – Kurz an die Bäderbahn
12. August – Kurz an die Bäderbahn II
13. August – Strahlender IC2415 in Timmendorfer Strand
15. August – Brückentour in Hamburg
16. August – Digitale Schiene Hamburg wird real
23. August – Rückkehr der Reichsbahn für einen Tag
29. August – Abschied von einem Hamburger Klassiker
30. August – „Alltag“ in Skjoldenæsholm

Sonntag, 23. August 2020 – Rückkehr der Reichsbahn für einen Tag

112 481

Gelegentlich sind Zeitreisen auf der Schiene noch möglich. In über 30 Jahren nach der Wende sind viele Bahnstrecken saniert oder stillgelegt worden, manches Mal auch beides nacheinander – so manche sanierte Strecke wurde vom Aufgabenträger abbestellt. Die 1869 eröffnete Strecke Nordhausen – Erfurt gehört zu den eingleisigen Hauptstrecken mit Verbindungswirkung, was aber auch nicht immer vor Abbestellung geschützt hat. Die frühere Nordhausen-Erfurter Eisenbahn (NEE), 1887 verstaatlicht, gehört zum Kernnetz der DB und soll seit Jahren für 120 km/h ausgebaut werden. Seit bald 10 Jahren laufen die Planungen und zuletzt hieß es Baubeginn noch in diesem Jahr.
Die Strecke ist eine der letzten Hauptstrecken im Osten Deutschlands, die noch nicht modernisiert worden sind. Erschienen solche Strecken zur Wende 1989 noch als gepflegte Infrastrukturen, so ist der Erneuerungsbedarf heute nicht mehr zu übersehen. Die bevorstehende Erneuerung war Anlass für Fotoenthusiasten in kleiner Runde nochmals die Zeit der Deutschen Reichsbahn in den 1980er Jahren aufleben zu lassen. Meist werden solche Fahrten mit Dampflokomotiven durchgeführt, doch auch die „Petroleum-P8“ sind im Personenverkehr längst Geschichte. 112 481 fährt am frühen Sonntagmorgen in den Bf Kleinfurra ein.

112 481

Der früher weitläufige Bahnhof Kleinfurra besitzt noch ein Kreuzungsgleis. Was 30 Jahre Verfall bewirken, sieht man am Bahnhof Kleinfurra deutlich. Zu DDR-Zeiten hatten die Bahnhöfe ihre Funktion durchweg behalten. Die DB verzichtete meist – wie schon im Westen – auf eine weitere betriebliche Nutzung und überließ zahllose Gebäude sich selbst, bzw. verkaufte diese nicht selten in Paketen an (Finanz-)Investoren. Die Zukunftsprognose des Bahnhofsgebäudes in Kleinfurra dürfte in Anbetracht des Zustandes keine allzu positive mehr sein.

112 481

Doch für einen Tag kehrte die gute, alte Zeit nochmals zurück – der in einem Film des DDR-Fernsehens von 1977 dargestellte „Rasende Roland“ fährt noch einmal die nicht selten mit gutaussehenden jungen Frauen besetzten Bahnhöfe entlang der Strecke an.

112 481

112 481 hat umgesetzt und fährt gen Wasserthaleben aus. Die Lok wurde 2017 an das neugegründete Unternehmen MaS Bahnconsult verkauft und mit viel Detailliebe weitgehenst in den Zustand der 1980er Jahre zurückversetzt. Im Zug auch einer der noch zu Beginn der 1990er Jahre allgegenwärtigen Packwagen der Bauart Pwg. Es sind von den Pwg einige erhalten geblieben, aber nur der Staßfurter 40 50 940-0379-6 dürfte aktuell gültige Fristen haben.

112 481

Ausfahrt Sondershausen. Die Sonne zierte sich leider etwas, als 112 481 aus dem Bahnhof ausfuhr. Links der Förderturm des Petersenschachts. Im Oktober 1909 wurde der Schacht II in 790 Metern Teufe in der Nähe vom Sondershäuser Hauptbahnhofs und des Dorfes Bebra niedergebracht. Der Schacht II gehört zu den ersten vier in Deutschland geteuften Zweitschächten in der Kaliindustrie. Da das Werk am Einfallstor der Residenzstadt – dem Bahnhof – entstand, sollte nach fürstlicher Anordnung die Bergwerksanlage eine ästhetisch anspruchsvolle Gestaltung erhalten. Sie ziert noch heute museal restauriert die Szenerie.

112 481

Die Blockstelle Hohenebra Ort bedient zwei Schrankenanlagen und ein Jüdel-Kurbelwerk mit einem Blocksignal nach Hohenebra. Im Zuge der Modernisierung der Strecke wird sowohl die Blockstelle wie auch der Verkehrshalt entfallen.

112 481

In Wasserthaleben freut sich Roland Dieser alias Martin S. über die ihn freudig erwartende Bahnsteigaufsicht.

112 481

Bevor es wieder in Richtung Erfurt geht, macht der rasende Roland noch das nächste Treffen mit der charmanten Neline klar.

112 481

Auf der Infrastruktur der Strecke scheint die Zeit wirklich stehengeblieben zu sein – die im Osten nicht selten rasch nach der Vereinigung der beiden Staatsbahnen erneuerten Hektometertafeln haben hier bis heute überlebt.
Ob der Oberbau auch noch aus dem Ausbau- und Erneuerungsprogramm der DR aus den 1970er Jahren stammt, wo erst (zu) spät das Alkaliproblem der verbauten Betonschwellen erkannt wurde und dieses die Haltbarkeit der sanierten Strecken drastisch reduzierte? (Nein natürlich nicht, der Oberbau dieser Strecke wurde nach der Wende erneuert)
Moment – ist das nicht Neline, die sich über die Fotografen an der Strecke freut? Jürgen lässt eben nichts anbrennen… Ist der Bahnhof Wasserthaleben nun ohne Aufsicht?

112 481

Die Zeitmaschine hat funktioniert. Am 23. August 1988 fährt die 112 481 in den Bahnhof Wasserthaleben ein. Die Weichenwärterin des Stellwerks „Tw“ (für Thaleben West) hat endlich den lange Jahre erwarteten Trabant erhalten, mit dem sie nun einfacher zum Dienst kommen kann. Den Tag zuvor haben – vom Klassenfeind unterstützte – subversive Elemente die Stellwerkswand bemalt, wurden aber von der Trapo gestellt. Sie mussten in der Nacht mit Schrubber und Seife die Wand reinigen.

112 481

Nicht ganz perfekt ist die Zeitreise in Kühnhausen realisierbar. Die Bahnsteiganlagen wurden auf noch niedrigem Niveau saniert. Aktuelle Sanierungen erfolgen je nach Bundesland als Neubau mit 550 oder 760 Millimeter Bahnsteighöhe mit Industriekomponenten und taktilen Leitstreifen. Die markanten und fast ausgestorbenen Pilzleuchten haben hier bisher überlebt, auch ist das Bahnhofsgebäude mit dem Fahrdienstleiter besetzt. Einst unverzichtbarer Bestandteil der örtlichen Stellwerke: der Scheinwerfer für die Fahrwegprüfung.

218 492

An dieser Stelle muss die Zeitreise einmal brutal unterbrochen werden. Wir schreiben das Jahr 2020 und die Deutsche Reichsbahn ist seit 26 Jahren Geschichte. Viele Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) haben sich seitdem gegründet und führen diskriminierungsfrei Verkehre auf dem deutschen Schienennetz durch.
Seit einigen Jahren gibt die DB als einstiges Monopolunternehmen auch Streckenloks an private Unternehmen ab. Aktuell hoch im Kurs stehen die Loks der BR 218 als letzte noch eingesetzte Vertreterinnen der V160-Lokfamilie. Auch die aus der Initiative zur Erhaltung der Rennsteigbahn 1999 gegründete Rennsteigbahn GmbH & Co. KG, Betreiberin der Strecke Ilmenau – Rennsteig, hat 2019 eine Lok der BR 218 – die 218 492 – beschafft und setzt sie hauptsächlich als Nachfolgerin einer Lok der BR 228 (ex-DR V180) in neutraler Farbgestaltung im Güterverkehr ein. Hier fährt sie mit einem leeren Holzzug durch den Bahnhof Straußfurt.

112 481

Moderne Eisenbahn heißt nicht nur verfallene Bahnhofsanlagen, hier der Bf Staußfurt mit dem aufgegebenen und zusammen mit dme Empfangsgebäude verkauften Hausbahnsteig. Moderne Eisenbahn heißt auch viele verschiedene Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU). Was das bedeuten kann, war im Anschluss an diese Einfahrt zu spüren. Infrastruktur, die die DB Netz AG nicht mehr betreiben will, muss vor der Stilllegung zur Übernahme ausgeschrieben werden. Findet sich ein Interessent, wird diese vollumfänglich von ihm weiterbetrieben. Was aber nicht 24 Stunden besetzte Stellwerke bedeutet.
Seit 2005 ist die Streckeninfrastruktur der „Pfefferminzbahn“ Straußfurt – Großheringen von der DB Netz AG an die Thüringer Eisenbahn GmbH verpachtet. Zu dieser Infrastruktur gehört die Ausfahrt aus Straußfurt von Gleis 1. Durch mängelbedingte Sperrungen von Weichen und Gleisen im Bf Straußfurt ist der Bahnverkehr auf der Strecke Nordhausen – Erfurt aktuell abweichend.
Eigentlich sollte der Fahrplan des Fotozuges entsprechend angepasst werden, doch unterblieb offenbar bei der Erstellung des Fahrplans die Unterrichtung der Thüringer Eisenbahn GmbH, so dass die 112 481 nach Einfahrt auf Gleis 1 mangels Besetzung des Stellwerkspostens sprichwörtlich gefangen war. Ein Umlaufen der Lok war nur über die Infrastruktur der Thüringer Eisenbahn GmbH möglich, welche offenbar aber von DB Netz keine Kenntnis über das Verkehren eines Sonderzuges erhalten hatte. So entfiel nach hektischen Telefongesprächen eine Pendelfahrt nach Kühnhausen und es wurde zur nächsten Planabfahrt gen Nordhausen über den südliches Bahnhofsbereich auf Gleis 4 umgesetzt.

Pwg

Noch optimistisch gestimmt schließt der zweite Lokführer der 112 481 die Zugschlusstafeln des Pwg. Insgesamt 240 Fahrzeuge der Bauart Pwg(s) 88 hat der VEB Waggonbau Bautzen zwischen 1957 und 1959 an die Deutsche Reichsbahn geliefert.

112 481

Eigentlich waren acht Stunden Sonne für den Tag und eine Windwarnung vorgesehen, doch hatte das Wetter offenbar Verspätung. Abgesehen von der mittäglichen Ankunft in Wasserthaleben sah man die Sonne bisher praktisch gar nicht. Zum Nachmittag änderte sich das und Wind kam auch auf. Bei bestem Nachmittagslicht wartet 112 481 im Bf Wasserthaleben auf die Weiterfahrt in Richtung Sondershausen. Im Vorbau des offenbar an Privat verkauften Bahnhofsgebäudes ist noch das Fahrdienstleiterstellwerk „Tb“ (für Thaleben) der Bauart Jüdel untergebracht.

Schrankenwärter

In frühen Zeiten der Bahn waren Bahnbewachungsdienst und Verkehrsdienst getrennt, entsprechend waren die Schranken durch Dienstposten des Bahnbewachungsdienstes gesichert. In der kleinen Betriebsstelle Hohenebra Ort (Ho), welches nur ein Blocksignal in Richtung Hohenebra stellt, ist die Schrankenkurbel längst auf dem Bahnsteig montiert und wird vom Blockwärter bedient. Entsprechend verfallen ist das Gebäude des einstigen Schrankenwärterpostens.

112 481

Um 17.28 Uhr erscheint die 112 481 mit ihren drei Bghw-Wagen und dem Pwg am Zugschluss endlich auf der Bildfläche und passiert bei bestem Abendlicht den Bk Hohenebra Ort. Gut, dass auch das Wetter Verspätung hatte – noch eine Stunde zuvor zeigte die Wetterprognose für den Zeitpunkt der Durchfart ein dichtes Wolkenfeld über Hohenebra an.

112 481

Da fährt sie hin, die Deutsche Reichsbahn von einst. Eigentlich längst Geschichte, doch gelegentlich noch einmal für einen Tag zu erleben. Ein großes Danke an alle, die das möglich gemacht haben.

Fotos in Google Earth © 2020 Jan Borchers, www.bahnfotokiste.de Nach oben