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1. Dezember – Abschied von den AKN-Uerdingern
7. Dezember – Das historische Gewissen der DB in Koblenz
9. Dezember – Fata Morgana am Bahnhof Ostkreuz
18. Dezember – Neue Ausblicke an den Elbbrücken
21. Dezember – Elbbrücken im Streiflicht
31. Dezember – Elbbrücken bei bester Sonne





Montag, 9. Dezember 2019 – Fata Morgana am Bahnhof Ostkreuz

476 002

Am frühen Morgen des 9. Dezember 2019 konnte man am Bahnhof Ostkreuz dem Eindruck einer Fata Morgana erliegen. Auf den ersten Blick fährt wie selbstverständlich ein Vollzug der BR 476.0 in den denkmalgeschützten und Ende 2018 nach 13-jährigem Neubau unter rollendem Rad weitgehend fertiggestellten Bahnhof ein.
Der Betrachter reibt sich die Augen, gibt es doch seit 19 Jahren
im Betriebsbestand keine Züge der BR 476/876 mehr, nur einen museal erhaltenen Viertelzug der als Abart mit 110V-Steuerung und KE-Bremse ausgestatteten Reihe 476.0. Der Bahnhof Ostkreuz (unten) ist mit dem Zugbeeinflussungssystem S-Bahn Berlin (ZBS) ausgestattet, welches derzeit fahrzeugseitig nur bei Fahrzeugen der BR 481 installiert ist und hier die Fahrzeugvielfalt auf diese eine Baureihe eindampft.
Der Betrieb mit historischen S-Bahnzügen ruht in Berlin seit dem Frühjahr 2009, nachdem der EB 165 471 am 14. Juni 2008 im Bahnhof Friedrichstraße entgleiste und technische Mängel am Zug dafür ursächlich waren. War zunächst die Überarbeitung der anderen historischen Fahrzeuge geplant, glitt die Berliner S-Bahn wenige Wochen danach in die schwerste Krise ihrer Geschichte und das Unternehmen S-Bahn Berlin GmbH stand aufgrund gravierender Wartungsmängel und Manipulationen vor dem Entzug der EVU-Lizenz – zeitweise waren nur noch 165 Viertelzüge der S-Bahn Berlin einsatzfähig und zahlreiche Strecken über Wochen stillgelegt.
Für historische Fahrzeuge war danach kein Platz mehr,
alle historischen Züge und die Panorama-S-Bahn wurden aus dem Fahrgastbetrieb zurückgezogen. Der Verein Historische S-Bahn e.V. (HiSB) arbeitet seit Jahren an der Hauptuntersuchung des vereinseigenen Halbzuges der Reihe ET/EB 167, doch gestaltet sich diese aufgrund zahlreicher neu anzufertigender Teile und nötiger Zuarbeit der S-Bahn Berlin langwierig – mit der aktuellen Ausrüstung des ET/EB 167-Halbzuges ist zudem nur ein Betrieb auf dem Teilnetz Ring bis Ende 2023 möglich, da nur hier bis dahin noch die mechanische Fahrsperre Anwendung findet. Den wichtigsten Schritt zur Wiederaufnahme des historischen Betriebes hat der Verein bereits geschafft, er ist als EVU zugelassen worden und darf seit 2016 eigenverantwortlich Betrieb auf dem Netz der Berliner S-Bahn durchführen.
Aus Platzgründen waren vier Viertelzüge rund zwei Jahre vom Vereinsstandort Erkner nach Friedrichsfelde ausgelagert, welche heute zurück nach Erkner gebracht werden sollten. Nachdem alle erforderlichen Genehmigungen für eine Fahrt des Vollzuges mit eigener Kraft von Lichtenberg nach Erkner vorlagen, konnte die Illusion Wirklichkeit werden.
476/876 002 fährt mit 477/877 602, esT 2303/5447, ET 165 471 und ES 165 231 in den Bahnhof Ostkreuz ein. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der 476/876 002 nicht noch einmal im Netz mit eigener Kraft unterwegs sein und mangels geeigneter Fahrzeuge für Fahrten im Zugverband schon gar nicht als Vollzug. So ist dieses Foto ein einmaliges Zeitdokument in einem legendären Bahnhof – selbstverständlich wirkend, aber eisenbahngeschichtlich eine Fata Morgana.

ES 165 231

Am anderen Zugende befand sich ES 165 231, welcher zuletzt 2013 anlässlich eines Dampflokfestes in Schöneweide im Netz verkehrte. Der passende Triebwagen ET 165 231 wurde nach dem endgültigen Fristablauf gegen den 2009 verunglückten, aber unbeschädigten ET 165 471 getauscht und der ET 165 231 zum Verkauf angeboten. Hier steht ES 165 231 mit ET 165 471, esT 2303/5447, 477/877 602 und 476/876 002 zur Abfahrt nach Erkner bereit. Entsprechend der 1. Fahrt des EVU Historische S-Bahn mit historischen Zügen trug der ES 165 231 das Logo des Vereins auf der Front. Vom einst morbiden alten Bahnhof Ostkreuz ist nichts geblieben, die Unterquerung der Ringbahn ist ein schmuckloses Zweckbauwerk.



Seit 2009 ist das über 80 Jahre lang allerorten in Berlin zu hörende, charakteristische Fahrgeräusch der Berliner S-Bahn verstummt. Einzig zwei zu Hilfs- oder Reinigungszwecken dienende Viertelzüge sind derzeit noch betriebsbereit, der Staubsaugerzug der Fa. Wiebe konnte im April 2018 im Bahnhof Olympiastadion ausnahmsweise einmal am Tage erlebt werden.
Fotos sind stumm – bewegte Bilder fangen die Atmosphäre für Augen und Ohren ein, so dass diese einmalige Ausfahrt aus dem Bahnhof Ostkreuz im Video festgehalten sein wollte.
Auch auf lange Sicht wird kein „Stadtbahner“ mehr im Netz verkehren. Der bis 1987 von der Deutschen Reichsbahn aufwendig hergerichtete Museumszug esT 2303/5447 (im Zugverband an zweiter Stelle) hat durch die lange Standzeit im Freien schwere Schäden an den Holztüren davongetragen, so dass
von den Stadtbahnern das frühere BVG-Viertel 475/875 605 die besten Chancen hat, langfristig wieder betriebsfähig zu werden – wenn es finanziell und logistisch möglich ist. Zuvor muss der Verein jedoch den Halbzug der Reihe ET/EB 167 fertigstellen und das Problem der ab 2024 auf dem Gesamtnetz verbindlich vorgeschriebenen ZBS lösen – den Aktiven des Vereins dabei viel Erfolg und dankeschön für das Ermöglichen des Einfangens dieser im Jahr 2019 absolut unwirklich gewordenen Szenerie.

Fotos in Google Earth © 2019 Jan Borchers, www.bahnfotokiste.de Nach oben