|
|
|
|
|
|
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
8 |
9 |
10 |
11 |
12 |
13 |
14 |
15 |
16 |
17 |
18 |
19 |
20 |
21 |
22 |
23 |
24 |
25 |
26 |
27 |
28 |
29 |
30 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Sonnabend, 24. September 2011
–
Kaiserwetter in Naumburg
|
|
|
|
Nach
Sachsen-Anhalt ging es von Freitag bis Sonnabend. In Naumburg
fährt die "Wilde Zicke" seit April 2007 im täglichen Betrieb,
nach
Ablauf des Modellversuchs kann durch gesetzliche Anpassungen der
tägliche Betrieb der Naumburger Straßenbahn weiter
vom Land finanziert werden. Aus Anlass der Landesausstellung "Der
Naumburger
Meister" fährt die Naumburger Straßenbahn an Sonnabenden
vormittags alle 15 Minuten im Zweizugbetrieb, ab 14 Uhr wird der
Beiwagen 19 mitgeführt.
So hatte ich mir mit viel Bastelei einen guten Bahnfahrpreis
zusammengebastelt, ein Hotel war in Naumburg aber partout nicht
aufzutreiben. In Karsdorf wurde ich in Bahnhofsnähe fündig –
aber den gleichen Bahnsparpreis nach Karsdorf zu bekommen war ein Ding
der Unmöglichkeit. Andere Routen und andere Preise – verstehen
muss man das nicht. Es gibt zwar Einzelkarten, die aber eine
eigentlich überflüssige Geldausgabe sind, denn die
Relationspreise
wären gleich gewesen – wenn man denn dem Buchungssystem seinen
Reisewunsch hätte verklickern
können.
Das Wetter war endlich wieder gut vorausgesagt, aber die Nebelzeit
steht vor der Tür – so stand für vormittags auch Nebel in der
Wetterkarte. Ein Blick aus dem Hotelzimmer im Karsdorf zeigte ihn in
der Morgendämmerung nach dem Aufstehen im Unstruttal, welches
künftig von der Brücke der Neubaustrecke Erfurt –
Halle/Leipzig geprägt wird.
|
|
|
Mit der
Burgenlandbahn – einst ein gemeinsames Unternehmen von Karsdorfer
Eisenbahn und der Deutschen Bahn und heute zu 100% im Eigentum der DB –
ging es
rasch nach Naumburg Hbf, von wo der 672 902 als RB 34867 noch bis
Naumburg Ost fährt. Während die Bahnsteige der durchgehenden
Hauptstrecke Halle – Erfurt im Zuge des Streckenausbaues neu gebaut
wurden, präsentiert sich der Bahnsteig der Burgenlandbahn in
bemitleidenswertem Zustand – die meisten der gusseisernen Säulen
müssen inzwischen von Holzbalken entlastet werden werden.
|
|
|
Man
würde sich ja fast wundern, wenn es keinen Haken gäbe. Den
Haken hatte ich am Freitagmorgen gefunden, als ich Fahrkarte und
-pläne zusammensuchte. Dieser Haken erklärte auch, warum ich
kein Hotelzimmer in Naumburg fand. Neben der Landesausstellung in
Naumburg fanden am Sonnabend die Naumburger Sporttage und das "42.
internationale Straßengehen" mit Deutschen Meisterschaften statt.
Die Straßenbahn konnte nur bis Theaterplatz fahren, wobei die
Ausweiche gesperrt war und dadurch der Beiwagenbetrieb entfiel. Somit
blieb nur noch der zweistündige 15min-Takt bis 11 Uhr, wo Betrieb
abseits des Alltags gefahren wurde. Aber bei DER Wetterlage war mir der
Beiwagenbetrieb eigentlich ohnehin nicht mehr so wichtig – das Licht
war
genial und die eingesetzten Fahrzeuge optisch alle eine Augenweide.
Der Triebwagen 37, 1959 als Triebwagen 15 nach Stralsund geliefert und
nach Einstellung der Stralsunder Straßenbahn etliche Male
innerhalb der Verkehrskombinate ausgetauscht, wickelte den
Verstärkungsbetrieb ab. Hier ist der Tw 37 soeben von der
Bahnhofstraße in die Bergstraße eingebogen, die ihrem Namen
alle Ehre macht und zu Dampfzeiten der "Wilden Zicke" ihren Namen
einbrachte, da die Dampflok hier im Herbst in der Steigung gerne
"Zicken" machte.
|
|
|
Der
Triebwagen 37 kam 2003 aus Jena, wo der Wagen bereits einige Jahre als
Stralsunder Wagen 15 beschriftet war und eine blaue Zierlinie statt der
in Jena üblichen grünen Zierline erhalten hatte. Bis 2007
wurde der Wagen in Magdeburg umfassend restauriert und soweit wie
möglich wieder in den Stralsunder Zustand zurückgebaut und in
Stralsunder Farben lackiert. Hier wieder in der Bergstraße in
Richtung Bahnhof.
|
|
Obwohl an
diesem Sonnabendmorgen vergleichsweise viel Verkehr auf der
Bergstraße herrschte, hielten sich die fototechnischen
Kollisionen mit dem Autoverkehr erfreulich in Grenzen. Tw 37 fährt
entsprechend ohne parallel fahrendes Auto gen Jägerplatz.
|
|
Seit einigen
Tagen wirbt die "rasende Rosi" für das Angebot '"Mein Takt"
der NASA, welches neben dem Regionalverkehr auch den Busverkehr
fördern soll. Die Naumburger Straßenbahn ist allerdings kein
Bestandteil von "Mein Takt", die "Wilde Zicke" muss sich andere
Finanzierungs- und Fördertöpfe suchen – derzeit ist der
Betrieb bis Ende 2012 abgesichert.
Der Triebwagen 29 ist seit 2010 einsatzfähig, der Triebwagen war
in Halle 1982 zu einem Arbeitstriebwagen umgebaut worden und kam 2004
nach Naumburg. In Gera wurde der Triebwagen von Grund auf saniert und
zeigt sich in dem Zustand, wie die LOWA-Wagen in den 1950er Jahren nach
Naumburg geliefert wurden.
|
|
Unübersehbar
steht der Herbst vor der Tür. Am
Jägerplatz zeigt sich Triebwagen 38, welcher in den zuletzt in
Naumburg üblichen Farben lackiert ist. Der Triebwagen kam 2003 aus
Jena, wo er als Tw 114 im Einsatz war. Der Triebwagen 38 stand
heute nicht im Liniendienst, er fuhr zweimal bestellte Fahrten
und sorgte für zusätzliche Abwechslung im Betrieb.
Die gelb/grüne Tafel im Fahrerfenster (in der Signalordnung nach
BOStrab von 1938 noch als Nachzugzeichen "Zg 5" enthalten und in der
DDR zuletzt als "St 30" aufgeführt, heute nicht mehr in der
Signalordnung) weist darauf hin, dass diesem Wagen ein weiterer Wagen
folgt.
|
|
Am
Jägerplatz wurden im Zuge des schrittweisen Wiederaufbaues der
Ringbahn zum Hauptbahnhof die Gleise in Seitenlage neu errichtet. Seit
2004 befährt die "Ille" die neuen Gleise, während die
Gleisreste der alten Ausweichstelle größtenteils noch
liegen. Die Fahrleitungmasten wurden nach historischem Vorbild von
einer Naumburger Stahlbaufirma neu gebaut.
|
|
Entlang der
Poststraße fährt die Ille auf ihrer originalen Trasse, hier
stehen auch noch einzelne alte Fahrleitungsmaste. In diesem Bereich
zeigt sich Naumburg noch weitgehend unverändert, während im
weiteren Verlauf der Trasse zum Hauptbahnhof in den letzten Jahren
diverse Neubauten entstanden sind. Triebwagen 29 hat in Kürze die
Hst Poststraße/Postring erreicht.
|
|
Am
Marienplatz liegt das Depot der Ille, das dortige Gleisdreieck wird im
Zweizugbetrieb zur Begegnung der beiden Kurse genutzt. Der vom
Theaterplatz kommende Triebwagen setzt in die Depoteinfahrt, der vom
Hauptbahnhof kommende Kurs fährt durchgehend zum Theaterplatz. Das
Stellen der Weiche hat ein Aktiver des Vereins "Nahverkehrsfreunde
Naumburg – Jena e.V." übernommen, wie überhaupt ein
Großteil der Arbeiten rund um Betrieb und Werkstatt von
Ehrenamtlichen geleistet wird.
|
|
Triebwagen
29 ist vom Theaterplatz gekommen – welcher zu DDR-Zeiten bis 1990
"Platz
der Einheit" hieß – und setzt zum letzten Mal in die
Depoteinfahrt, um den Tw 37 zum Theaterplatz vorbei zu lassen.
Anschließend beginnt der 30min-Takt und Triebwagen 37 setzt aus.
|
|
In der
Werkstatt des Straßenbahndepots der Beiwagen 1 sowie der mit
Fristablauf abgestellte Triebwagen 23. Der Beiwagen 1 wird in
Kleinarbeit originalgetreu saniert und vom Einrichtungswagen wieder zum
Zweirichtungswagen umgebaut. Der Tw 23 wurde 1956 neu an die Deutsche
Reichsbahn geliefert und als ET 198 04
bis zur Einstellung 1964 auf der Schmalspurbahn
Klingenthal – Sachsenberg-Georgenthal eingesetzt.
|
|
Tw 37
verlässt die Hst Poststraße/Postring in Richtung
Theaterplatz. Im Bereich der Haltestelle zweigte bis 1981 die Strecke
in die Altstadt ab, welche 1976 ab Lindenring unterbrochen wurde, da
der Marktplatz straßenbahnfrei werden sollte.
|
|
Am Depot am
Marienplatz steht der Tw 38 für die nächste Sonderfahrt
bereit, Tw 37 ist eingerückt – der LOWA-Triebwagen 29 biegt
auf die Strecke entlang der Stadtpromenade ab.
|
|
Die
Streckenführung entlang der Stadtpromenade ist ein Ergebnis der
gewollten Einstellung der Altstadtstrecke und der Ölverknappung
Ende der 1970er Jahre in der DDR (die Ölpreise waren staatlich
reguliert, der Staat musste die Differenz zwischen Abgabepreis und
Einkaufspreis subventionieren). Die aufgrund
Baufälligkeit aller technischen Anlagen faktisch bereits 1979
erfolgte Stilllegung der Naumburger Straßenbahn wurde dadurch
unmöglich und die Anlagen mussten anstelle der Einrichtung eines
Omnibusbetriebes wieder in einen betriebssicheren
Zustand gebracht werden. Um den Ring wieder zu schließen,
wurde 1981 außerhalb der Altstadt entlang der
Stadtpromande eine Neubaustrecke angelegt.
|
|
Der Bereich
der Bahnhofstraße war im August 1991 der Anlass, die
Straßenbahn in Naumburg vorerst stillzulegen. Durch den
Ringbetrieb waren fast nur Einrichtungswagen vorhanden und ein
Pendelbetrieb damit ausgeschlossen. Die Bauarbeiten wurden nie mit
einer Ringschließung abgeschlossen, obwohl in diesem Bereich neue
Gleise gelegt wurden. Erst ab 2004 – rund 12 Jahre nach Beginn der
Bauarbeiten – konnte die Straßenbahn wieder in der
Bahnhofstraße verkehren.
|
|
Mit viel
Phantasie könnte man meinen, wie in alten Zeiten fährt die
Ringbahn durch Naumburg. Nun, wer verfallene Anlagen als einzig
passendes Ambiente sieht, der muss sich fragen lassen, wie die Menge
der morbiden Anlagen aus den 1980er Jahren heute über 20 Jahre
später aussehen täte. Bei der Knappheit an
Baukapazitäten in der DDR würde ein Großteil heute
aufgegeben sein oder durch Neubauten ersetzt. Die Straßenbahn
wäre wohl längst endgültig eingestellt – bis zur
Betriebseinstellung 1991 wurde letztlich immer weiter von der Substanz
gelebt.
Von daher, Zeit lässt sich nicht aufhalten und so ist die
Naumburger Straßenbahn heute ein vorbildlich agierender Betrieb
mit historischen Fahrzeugen im Linienbetrieb und das Umfeld an der
Einmündung Bergstraße/Georgenstraße präsentiert
sich aufgeräumt und saniert.
|
|
Tw 29
erklimmt im satten Nachmittagslicht die Bergstraße.
|
|
Am
Hauptbahnhof gibt eine Ausweiche mit Rückfallweichen.
Sonderfahrten müssen passgenau vom Depot aus eingefädelt
werden oder nach Abfahrt des Planzuges die Ausweiche erneut umfahren.
Tw 38 als Sonderfahrt ist dem vorherigen Kurs gefolgt und wartet auf
den nachfolgenden Wagen, dem er als Vorläufer vorausfährt.
|
|
Die Kreuzung
Poststraße/Gartenstraße passiert der Tw 29. Abgesehen von
wenigen Veränderungen der Infrastruktur könnte man meinen,
das Bild ist vor vielen Jahren entstanden. In der Poststraße ist
hin zum Jägerplatz viel alte Bausubstanz erhalten, das Haus im
Hintergrund steht zum Verkauf...
|
|
In Höhe
des früheren Abzweiges zur Altstadt passiert Tw 43 die
Gartenstraße in Richtung Hauptbahnhof. Vorbildlich restaurierte
Altbauten prägen die Szenerie, an der Straßenecke recken die
Sonnenblumen ihre Blüten der wärmenden Spätsommersonne
zu.
|
|
An den Wagen
waren vor Jahrzehnten neben Hinweisen, dass der Wagen ohne Schaffner
fährt auch Verhaltensregeln für Autofahrer und Eltern
angebracht. Im Gegensatz zu heute waren die Generationen früher
sicher nicht leichtsinniger – aber vielleicht ist das alles nur eine
Frage der Relationen und man schüttelte
damals den Kopf über Dinge, die man heute bereits als Teil des
täglichen Lebens akzeptiert hat.
Heute würde der Verkehrsbetrieb wahrscheinlich an
dieser Stelle eher mit handylesbaren QR-Codes punkten,
aber gleichzeitig das spontane Davorspringen von Handynutzern
provozieren – die dann erfahren, dass da in QR-Code steht "Halte
Abstand von der Bahn!".
|
|
Mit der
Vorbeifahrt des Tw 29 an der Einmündung Poststraße endete
die Fototour nach Naumburg, anschließend ging es noch zu gutem
Preis mit Aussicht auf die Straßenbahn Essen – solche Touren sind
heute viel zu selten möglich. Mein Dank gilt den überaus
freundlichen Straßenbahnern in Naumburg, die ohne Wimpernzucken
auch nur zwei Besucher durch das Depot führen und viel
wissenswertes über die "Wilde Zicke" erzählen und viel von
dem Flair vermitteln, durch das die Naumburger Straßenbahn heute
überhaupt noch fährt.
|
|
|