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Montag, 27. Juni 2011 – Kamel
im Selketal
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Um
rechtzeitig für den Frühzug aus Quedlinburg in Bad Suderode
zu sein,
musste ich früh aufstehen – das Quartier hatte ich in Wernigerode
bezogen. Wohl noch nie war ich in einem Hotel erster
Frühstücksgast,
das geplante Motiv fordert eben Opfer. Rechtzeitig war ich für P
8951
in Bad Suderode und suchte mir einen passenden Standort. Der ehemalige
Mittelbahnsteig ist zwischenzeitlich stark bewachsen, so dass das Gras
etwas hoch steht – da stoßen auch Hilfsmittel wie die
mitgebrachte
Leiter an ihre Grenzen.
Leicht verspätet rollt 199 872 mit ihrem Zug in den nunmehrigen
Haltepunkt
Bad Suderode ein – Fahrgastwechsel findet heute nicht statt. Vielleicht
ist die Lok als 110 872 in den 1980er Jahren mit regelspurigen
Personen- oder Güterzügen hier schon einmal durchgefahren.
Damals wären
bei einem Personenzug in jedem Falle mehr Reisende ein- und
ausgestiegen. Erfreulicherweise hat die Selketalbahn nach Stilllegung
der Regelspurstrecke Quedlinburg – Frose im Jahre 2004 mit der
Umspurung des Abschnittes Gernrode – Quedlinburg seit 2006 wieder
Anschluss an das Regelspurnetz.
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Seit
Beschaffung von Dieseltriebwagen setzt die HSB im
Planverkehr keine Dieselloks mehr vor Reisezügen ein. Die
Harzkamele
sollten ab 1988 in 30 Exemplaren aus vorhandenen Loks der BR 110 (V100
von LEW) umgebaut werden und den Dampfbetrieb im Harz beenden. Nach
einem Probeumbau 1988 lief die Produktion zum Mauerfall gerade an,
welche
in den wilden Wendezeiten sofort in Frage gestellt wurde. Zum
Jahresbeginn 1991 geisterte ein Projekt durch den Harz und viele
Medien, dass die Harzer Schmalspurbahnen weitgehend stillgelegt werden
sollten und nur eine Art moderner Expresszug auf den Brocken erhalten
werden sollte.
Das windige Konzept verschwand bald wieder – aber es war ohne Zweifel,
dass sich der bisherige Betrieb wandeln würde. Zahlreiche Loks
waren im
Güterverkehr eingesetzt, dieser brach mit Abwicklung der meisten
Industriebetriebe weitgehend zusammen – bestehende Betriebe setzten
inzwischen auf den Lkw. Durch diese Ereignisse wurden letztlich nur 10
Lokomotiven umgebaut und bis Ende 1990 in Betrieb genommen.
199 872 passiert auf dieser Aufnahme den Hp Sternhaus-Haferfeld und den
technisch ungesicherten Bahnübergang über die L243. Hier
haben bereits
die Arbeiten zur Errichtung einer Halbschrankenanlage begonnen; damit
wird dieser verträumte Wald-Bü in Kürze der
Vergangenheit angehören und
der Bahnbetrieb um eine Gefahrenquelle ärmer werden.
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Hier kommt
der Halberstädter Neubautriebwagen 187 017 als P 8982 aus
Hasselfelde
in den Bf Stiege gerollt. Wenn der Leser des Fototagebuches den Eintrag
von gestern in Erinnerung hat, wo der VT 137 322 zu sehen war – es
unterscheiden sich beide Fahrzeuge vom Konzept praktisch nicht. 1940
endete der Triebwagenbau bei der Deutschen Reichsbahn durch den Krieg.
In den 1990er Jahren kam das aktuelle Projekt eines Neubautriebwagens
über einen Prototyp auf 750 mm (heute auf 1.000 mm als 187 015 bei
der
HSB
im Einsatz) und eine Serienfertigung von vier Triebwagen für die
HSB
mit 1.000 mm Spurweite nicht hinaus.
Vielleicht wäre man heute in Zeiten knapper Kassen (das hörte
man
eigentlich schon immer...) froh, wenn man in Sachsen in den 1990er
Jahren mehr Mut gehabt hätte. Auch wenn die Triebwagen nicht die
Anziehungskraft von Dampfloks haben, so halten die acht Triebwagen der
HSB (zzgl. zweier
historischer Triebwagen für den Sonderverkehr) doch
wesentliche Teile des umfangreichen Angebots der HSB aufrecht.
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Die HSB
bietet dieses Jahr im Sommerfahrplan donnerstags bis sonnabends einen
dampfgeführten Zug von Quedlinburg nach Eisfelder Talmühle
und zurück
an, bei dem die Schleife in Stiege planmäßig befahren wird.
Bis 2010
war einige Jahre keine Dampfleistung von Stiege nach Eisfelder
Talmühle
im Angebot der HSB, so dass die 1984 für den durchgehenden
Güterverkehr
ins Selketal nach Silberhütte erbaute Schleife lange nur von
Sonder-
und ggf. Überführungszügen befahren wurde.
Durch den Ausfall des Triebwagens wird diese donnerstags bis sonnabends
dampfbespannte Leistung heute mit einer Diesellok gefahren – die
ebenfalls durch die Schleife fahren muss, um die Fahrzeiten einhalten
zu können. Mit lautem Kreischen fährt der Zug (fast) im
Kreis, während
ich in einer Fotowolke stehe. Zum Glück blieb der Zug während
des
Durchfahrens der Schleife im Licht, manchmal muss man bei sowas auch
Glück haben...
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199 872 ist
in Eisfelder Talmühle am im Winterhalbjahr neu gebauten Bahnsteig
angekommen, mit Rücksicht auf die Lage und Gestaltung des Bahnhofs
hat
man sich hier erfreulicherweise für eine unauffällige
Granitgestaltung
entschieden. Links steht Triebwagen 187 018 als P 8971 nach Nordhausen
zur Abfahrt bereit. Wenn alles planmäßig gewesen wäre,
hätte anstelle
der großen V100 und drei Wagen nur ein kleiner Triebwagen
gestanden.
Wirtschaftlich ist der Ersatzverkehr keinesfalls – aber der Zug
fährt!
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99 7245 ist
Stammlok in Nordhausen. In der Regel fährt die Lok mit Tender
voraus
gen Wernigerode, dies variiert je nach Vorlieben der Lokmannschaft.
Heute fährt P 8920 zum Brocken Kessel voran in den Bf Eisfelder
Talmühle ein. In Drei Annen Hohne wird ein Lokwechsel
durchgeführt,
damit die Lok in Wernigerode restauriert werden kann.
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Vormittags
steht die Sonne für Züge nach Gernrode günstiger. Da die
Dampfloks in
Richtung Gernrode planmäßig mit Tender voran fahren und bei
Fotografen
"Tender voran" nicht so begehrt ist, wird die Ortsdurchfahrt
Straßberg
von dieser Seite eher selten umgesetzt. Bei einer Diesellok kann das
egal sein – vor 20 Jahren hätten viele Fotografen bei diesem Zug
ohnehin beleidigt ihre Kamera wieder eingepackt.
199 872 fährt mit P 8952 gen Quedlinburg. Der Weg hier ist eine
Sackgasse, entsprechend wenig Autoverkehr herrscht hier. In 30 Minuten
Warten kamen zwei Autos hier entlang gefahren. Das dritte Auto
fährt
selbstredend – zum Glück vom Zug verdeckt – neben dem Zug. Etwas
schneller und das Motiv wäre für die Katz gewesen – es
müssen also
nicht immer Fotowolken sein...
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Mit
fortschreitender Uhrzeit wird es schwieriger nordwärts fahrende
Züge im
Licht umzusetzen. Bei Drahtzug reicht der Winkel gerade noch aus, um
die Front der 199 872 nicht im Schatten zu haben – auch der Zug passt
sich genau in das Sonnenloch im Einschnitt ein. Der am Zugschluss
laufende Packwagen 905-151 ist der letzte im aktiven Bestand
befindliche Zweiachspackwagen der HSB, alle anderen sind abgestellt
oder zum Fahrradwagen umgebaut worden.
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Verlassen
präsentieren sich die Regelspuranlagen des Bf Gernrode. Ende
Januar
2004 fuhr hier der letzte Zug nach Quedlinburg. Nachdem im Juni 2003
das Stellwerk in Ballenstedt Ost ausbrannte und nicht wieder
instandgesetzt wurde, wurde der Abschnitt zwischen Gernrode und
Ermsleben nur noch im Schienenersatzverkehr betrieben. Ideen, die
Strecke Richtung Frose für erhofften Güterverkehr in
Meterspur instand
zu setzen, erwiesen sich als Luftschloss. Letztlich wird es irgendwann
zu einem Abbau der verfallenden Anlagen kommen, jegliche Signaltechnik
hat die Deutsche Bahn AG bereits restlos zurückgebaut.
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In
zügiger
Fahrt fährt 199 872 mit P 8953 aus Quedlinburg kommend zur
wohlverdienten Pause in Gernrode ein. Sechs Stunden strammer Fahrdienst
liegen hinter Zug und Personal. Reisende in Richtung Stiege können
in
Gernrode direkt in den von 99 6001 bespannten P 8965
umsteigen.
199 872 ist neben 199 861 und 199 874 eine von drei der zehn
ursprünglich vorhandenen betriebsfähigen Maschinen. Drei
weitere Loks
sind bei der HSB seit Jahren nicht betriebsfähig abgestellt, vier
wurden an Alstom in Stendal verkauft, wo die Loks wieder zu
Normalspurloks der Reihe V100.4 umgebaut wurden – für
Überführungszwecke waren die Regelspurdrehgestelle ohnehin
erhalten
geblieben.
199 872 und 874 wurden für den Güterzugdienst umgebaut –
anstelle des
Heizkessels wurde ein Vorwärmgerät eingebaut und zur
Beförderung der
neuen Rollbockzüge erhielten die beiden Loks zusätzlich herkömmliche,
hochklappbare
Zug- und Stoßeinrichtungen. 199 861 ist
äußerlich im
weitgehenden Originalzustand erhalten und verfügt auch wieder
über
einen Heizkessel, um im Winter als VT-Reserve dienen zu können. Im
Sommer ist der Heizkessel unnötig, so können die 199 872 und
874
problemlos mit ihrer Güterzugausrüstung im Personenzugdienst
aushelfen.
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Mägdesprung,
ein verwunschener Bahnhof im Nichts. Bis zur ca. 2009 erfolgten
Schließung der Bahnhofsgaststätte dennoch ein gern besuchter
Ort, wo
man bei gutem Wetter draußen sitzen konnte, der Wirt die
Außenflächen
pflegte und man bei nicht so schönem Wetter im kleinen Gastraum
speisen
konnte. Mit der Schließung der Gaststätte ist der Bahnhof
endgültig in
einen Dornröschenschlaf gefallen. Die Außenmauern des
Güterschuppens
geben allmählich der Last nach, das Dach ist löchrig. Das
Bahnhofsgebäude unbewohnt, in der Gaststätte stehen nur noch
vertrocknete Blumen. Die Bahndienstfahrzeuge wurden irgendwann in den
1990er Jahren hier abgestellt und ihrem Schicksal überlassen. Hin
und
wieder verirrt sich noch das eine oder andere Auto auf den
Gästeparkplatz – von der Straße schaut die Gaststätte
noch geöffnet
aus, das Transparent für den "Einkehrbahnhof Mägdesprung"
hängt noch in den
Bäumen.
Aber nach einem Blick in die geschlossene Gaststätte sind die
verhinderten Gäste schnell wieder weg.
99 6001 mit P 8965 hat mit dem P 8972 aus Nordhausen gekreuzt und setzt
– ohne dass ein Fahrgast ein- oder ausgestiegen wäre – ihre Fahrt
nach
Hasselfelde fort und es kehrt wieder Ruhe im Bf Mägdesprung ein.
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Westlich von
Günthersberge verläuft die Selketalbahn entlang des
Mühlenteichs,
Talsperre und beliebter Badeteich. 99 6001 fährt mit P 8965 auf
der
1946 zu Reparationszwecken demontierten,
von 1980-83 für den Güterverkehr zum Braunkohleheizwerk
Silberhütte
wieder aufgebauten, Strecke gen Stiege.
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Hinter
Stiege beginnt in Richtung Hasselfelde ein nochmaliger starker Anstieg,
den die 99 6001 mit P 8965 unter Volldampf nimmt. Leider ist die
Außentemperatur mit gut über 20 Grad für
Dampfentwicklung doch etwas zu
hoch – aber die Rauchgase verraten, dass die Lok mit geöffnetem
Regler
die Steigung erklimmt. Nach der Anfang 2011 durchgeführten
Sanierung
dieses Streckenabschnittes kann die Lok hier auch wieder rennen.
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Mit P 8967
nähert sich 99 6001 wieder Stiege und wird weiter nach Eisfelder
Talmühle fahren. Ein Blick in den Fahrplan zeigte, dass im
Selketal und
auf der Harzquerbahn in fotogenem Licht erstmal
keine Dampf- oder Diesellokleistungen an fotogenen Stellen mehr
verkehren.
Nach zwei vollgepackten Fototagen hatte ich auch keine Muße mehr,
mir
Gedanken über Alternativpläne für das fraglos
schöne Abendlicht zu
machen und steuerte wieder die Heimat an. Nach 1.240 gefahrenen
Kilometern war ich zum Ende der Tagesschau wieder daheim und sortierte
erstmal die von der Tour reichlich verspannten Knochen. Aber gelohnt
haben sich die Mühen!
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