|
|
|
|
|
|
|
|
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
8 |
9 |
10 |
11 |
12 |
13 |
14 |
15 |
16 |
17 |
18 |
19 |
20 |
21 |
22 |
23 |
24 |
25 |
26 |
27 |
28 |
29 |
30 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Sonnabend 8. Juni 2013
– Halberstadt fährt historisch
|
|
|
|
Der Straßenbahnbetrieb in
Halberstadt gehört zu den bemerkenswertesten
Straßenbahnbetrieben in
Deutschland – seit 1903 rollen durch die knapp über 40.000
Einwohner
zählende Stadt elektrische Straßenbahnen, derzeit mit zwei
Linien und
10,7 km Streckenlänge. Während im Westen vergleichbare
Städte ihre
Straßenbahnen bereits in den 1950er und 1960er Jahren verloren,
behielten in der DDR einige Kleinstädte ihre Straßenbahn –
allerdings
nicht aus Überzeugung über das System Straßenbahn,
vielmehr aufgrund
der wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten der DDR und der in den
1970er
Jahren vorherrschenden Ölknappheit. Mancher Betrieb fuhr damals an
der
absoluten Verschleißgrenze von Fahrzeugen und Infrastruktur, so
auch
die Straßenbahn in Halberstadt.
Aus Anlass des 110-jährigen Bestehens der elektrischen
Straßenbahn in
Halberstadt verkehrten heute alle historischen Straßenbahnen der
HVG – fünf Triebwagen und ein Beiwagen –
zusätzlich zu
den planmäßigen Kursen, hier der
T57-Triebwagen 39 mit
Beiwagen 61 an der Hst Hoher
Weg.
|
|
|
Nach der
Wende blieben aufgrund großzügiger Fördermittel
praktisch alle
Straßenbahnbetriebe in der DDR erhalten und konnten
umfassend modernisiert werden, zunächst mit Gebrauchtfahrzeugen
aus dem
Westen und inzwischen durchweg mit neuen Niederflurfahrzeugen.
Lediglich das
kleinere Naumburg verlor 1991 zunächst seine Ringbahn,
welche von Enthusiasten aber nie völlig aufgegeben wurde und auf
Rumpfabschnitten als Touristikstraßenbahn betrieben wurde. Seit
2007
wird in
Naumburg wieder ein täglicher Betrieb auf fast 50% der
früheren
Streckenlänge
angeboten.
Da die historischen Fahrzeuge der HVG keine Weichensteuerung besitzen,
müssen die Weichen vor und nach den Fahrten mit den historischen
Zügen
vom Fahrer manuell umgestellt werden. Hier steht der Leoliner-Tw 1 an
der Einmündung Gröperstraße/Dominikanerstraße zur
Fahrt Richtung
Hauptbahnhof bereit. Die Strecke durch die Gröperstraße zum
Friedhof,
an dessen Ende auch der Betriebshof liegt, wird nur noch Mo-Sa
befahren.
|
|
|
Die
Stilllegungspläne verschwanden auch aus Halberstadt nie
wirklich, so beschloss der Stadtrat Halberstadt im Juli 2011 eine
Einstellung der
Straßenbahn zu prüfen, welche derzeit vom Stadtrat mit
Auslaufen der Bindung der Fördermittel zur Gleissanierung in
einigen
Jahren angestrebt wird. Nach einem Grundsatzbeschluss war im
Juli 2003 die Zukunft der Halberstädter Straßenbahn
zunächst gesichert
und die HVG beschaffte 2006/07 fünf Neubautriebwagen vom Typ Leoliner,
welche bei der Fa. HeiterBlick in
Leipzig parallel zu einer Serie für
Leipzig gefertigt wurden.
Der 1939 von Lindner gebaute
Triebwagen 31 wird seit über 30 Jahren für historische
Stadtrundfahrten
eingesetzt, 2006 wurde der Wagen nach einem Zusammenstoß mit dem
LOWA-Tw
36 umfangreich instandgesetzt. Der Sonderfahrzeugbestand in
Halberstadt ist größer als der Bestand an Fahrzeugen des
Regelbestandes. Ein deutliches Zeichen, welch Stellenwert die
Straßenbahn
bei den Mitarbeitern der HVG und der Bevölkerung genießt.
Hier hat der
Wagen 31 gerade die
Hst Gröperstraße verlassen. Unter anderem in der
Gröperstraße kam die
Wende einige
Jahre zu spät, noch kurz vor dem Mauerfall wurden hier etliche
Fachwerkhäuser abgerissen und durch – immerhin architektonisch
gestaltete – Plattenbauten ersetzt.
|
|
|
In der ebenfalls in den 1980er
Jahren erheblich umgestalteten Dominikanerstraße fährt der
Tw 31 gen Hoher Weg.
|
|
Nach der Wende wurden die meisten
der verbliebenen historischen Fachwerkhäuser umfassend saniert,
die
Voigtei und die umliegenden Straßen der Altstadt sind heute ein
Kleinod. Der Bereich
Gröperstraße/Dominikanerstraße wäre ohne
den
umfangreichen Abriss Mitte der 1980er Jahre –
bei dem u.a. auf der rechten
Straßenseite sämtliche Häuser abgerissen wurden – heute
sicher ohne
Straßenbahnbetrieb. In früheren Zeiten waren für
Fußgänger Warnschilder erforderlich, da bei
Straßenbahnfahrten kein
Platz mehr zwischen Hauswand und Straßenbahn verblieb.
|
|
Was heute von den meisten
Fachwerkhäusern übrig wäre, wenn es den Mauerfall 1989
nicht gegeben
hätte, sieht man an einzelnen in der Gröperstraße noch
vorhandenen
Ruinen, wo nur noch die Grundmauern stehen. Der von 2001 bis
2009 am Betriebshof der HVG als Denkmal aufgestellte Reko-Tw 29 aus dem
Jahr 1975 ist seit 2011 wieder betriebsfähig und rundet die
Bandbreite
der Sammlung von in der DDR gebauten Zweiachsfahrzeugen ab.
|
|
Seit 1993 steht der 1957 vom Waggonbau Gotha
gebaute ET54-Triebwagen 36 für Sonderfahrten zur
Verfügung, hier nahe der Hst Zuckerfabrik.
|
|
Der tägliche Fahrzeugauslauf
ist in
Halberstadt inzwischen vollständig auf Niederflur umgestellt, die
fünf
Leoliner reichen für die Umläufe aus. Lediglich bei
Werkstattaufenthalten muss einer der noch betriebsfähigen GT4 aus
Freiburg (167 und 168) oder Stuttgart (156) im Liniendienst aushelfen.
Die garantiert niederflurigen Umläufe sind im Fahrplan
entsprechend
gekennzeichnet. Hier hat der Tw 4 die Hst Voigtei verlassen und
fährt
weiter zum Sargstedter Weg.
|
|
Von der Voigtei, wo bis 1990 links
in der Sackgasse ein verschlissenes Wendedreieck inmitten desolater
Fachwerkhäuser vorhanden war, wurde bis 1993 eine Neubaustrecke
über zwei
Haltestellen zum Sargstedter Weg angelegt und so wesentlich zum
Weiterbetrieb der Halberstädter Straßenbahn beigetragen.
Eine
Weiterführung der Straßenbahn in die langgezogene
Sargstedter Siedlung
wäre heute sicher ein Plus
für die Auslastung der Straßenbahn,
unterblieb in den Jahren ab 1990. Heute ist hier alles
vorbildlich restauriert und die Straßenbahn durchfährt die
Altstadt, jedoch nur auf einem kleinen Stück – der Rest
Halberstadts schaut wie
eine typische Kleinstadt aus. Zeichen des Verfalls sind
unübersehbar – es verfallen zwar kaum Altbauten mehr, aber
zahlreiche
Neubauten aus den späten DDR-Zeiten stehen heute leer und
verfallen.
|
|
Triebwagen 168 stammt aus Freiburg
und kam 1994 zunächst nach Nordhausen, wo er die alten Gothaer
Gelenkzüge
ersetzte und wurde nach Lieferung von Neufahrzeugen 2003
an Halberstadt abgegeben. Seit 2007 ist der Tw 168 Reservefahrzeug, aus
Anlass des Traditionsfahrtags kam der GT4
168 für eine Runde auf Strecke.
|
|
GT4 168 hat die Hst Torteich
verlassen und fährt in Richtung Klus.
|
|
An der Voigtei kam es zu einem
überraschenden Treffen mit einem IFA
S4000, welcher zu einem Oldtimertreffen unterwegs war. Da der
Gotha-Zug aus den Wagen 39 und 61 als nächste Fahrt zu erwarten
war,
bot sich ein kleiner Fototermin geradewegs an. Zwei Oldtimer aus den
1960er Jahren, eine Begegnung wie sie vor 50 Jahren Alltag gewesen sein
wird. Doch sah es damals in Halberstadt nicht so aufgeräumt aus
wie
heute, anno 2013.
|
|
Rein zufällig waren an der
Voigtei
weitere Ladearbeiten erforderlich und so kam es kurz darauf zu
einem nochmaligen Aufeinandertreffen der historischen Fahrzeuge.
|
|
Anschließend erfolgte ein
schneller
Ortswechsel zum Streckenast nach Klus, auf dem seit Jahren nur noch an
Wochenenden und Feiertagen gefahren wird. Aufgrund der abseitigen Lage
des Astes mit nur wenig Wohnbebauung, aber einigen Freizeitanlagen
wurde bereits in früheren Jahren unter der Woche ein Pendelverkehr
zur
Herbingstraße gefahren und nur an Wochenenden durchgehender
Betrieb
angeboten. Heute im Wochenend-Halbstundentakt fährt jeder
zweite Umlauf weiter nach Klus, was dem Streckenunkundigen etwas
Denksport beim Fahrplanlesen abfordert.
|
|
Neuester Zugang im historischen
Fahrzeugbestand ist der Tw 30 vom Typ T2-62, 1966 als einer der letzten
Gothawagen in Gotha gebaut. Von 1979 bis 1996 wurde das Fahrzeug in
Halberstadt im Liniendienst eingesetzt, ehe es zur Kinderbahn umgebaut
wurde. Im September 2012 wurde der Tw 30 nach Rückbau und HU als
historischer Wagen in Betrieb genommen. Als Kinderbahn dient jetzt ein
Freiburger GT4.
An der Bahnstrecke nach Blankenburg liegen die beiden Übergange
der
Linie 2 von/zur Herbingstraße. Trotz der eigentlich bereits 2011
ausgelaufenen Betriebserlaubnis der alten
WSSB-Bahnübergangsanlagen
sind
im Osten noch zahlreiche Anlagen vorhanden, von denen jetzt jede
einzelne vom EBA eine Sondergenehmigung mit genauem Ablaufdatum
erhalten hat. So verbreitet die Anlage in der Westerhäuser
Straße auch
2013 noch fast originales Flair, nur die Autos haben sich gewandelt und
die Häuser bekamen mit der Modernisierung einen freundlichen
Anstrich.
|
|
In Seitenlage verläuft die
Strecke
nach Klus entlang der Hans-Neupert-Straße, nur noch zahlreiche
Kleingärten liegen hier im Einzugsbereich der Strecke.
|
|
An der Hst Kirschallee endet zuvor
die
Siedlungsbebauung. Der Stammtriebwagen der späten 1990er Jahre, Tw
29,
fährt hier nach Verlassen der Haltestelle in einem kleinen
Wolkenloch
gen Klus.
|
|
Bei meinem letzten – und bis dato
einzigen – Besuch in Halberstadt stand im Mai 2001 der Tw 29 noch als
Stammfahrzeug auf der Linie 3 Herbingstraße – Klus und
zurück im Einsatz. Im Laufe des Jahres 2001 kam er auf den Sockel
am Betriebshof der HVG und kaum einer rechnete bei der damals
hochaktuellen Diskussion über die Zukunft der Straßenbahn
damit, dass er 10 Jahre
später wieder in Originalfarben den betriebsbereiten historischen
Fuhrpark bereichern wird.
|
|
Am frühen Nachmittag hatte die
Sonne etwas geschwächelt da sich in Raum Halberstadt die
Luftmassengrenze befand – welche Schönwetter im Norden von
schlechtem
Wetter im Süden trennte. Tw 1 passierte den Bü
Westerhäuser Straße bei
Sonnenschein, was zweimal mit historischen Fahrzeugen nicht geklappt
hatte. Umso größer der Kontrast von Neubauwagen auf
angejahrter
Infrastruktur.
|
|
Während die Straßenbahn
in
Fahrtrichtung Herbingstraße links an
der Hst Westerhäuser
Straße auf
Weiterfahrt wartete, schlossen sich die Schranken. Da der Fotograf zu
diesem Zeitpunkt auf der "falschen" Seite stand, wäre ein Foto mit
Eisenbahn und Straßenbahn nicht möglich gewesen – da traf es
sich gut,
dass die Straßenbahn eh an der Haltestelle wartete und nicht zum
Bahnübergang vorfuhr. So muss ich mich "nur" über den nicht
ganz
passenden Sonnenstand ärgern... ;-)
|
|
Der frühere Stuttgarter GT4
156 ist der
letzte Einrichtungs-GT4 in Halberstadt und hat 2010 eine Aufarbeitung
und neue, aktuelle Farben erhalten. Im Zuges des historischen Fahrtages
fuhr auch dieser Wagen eine Runde über das Streckennetz, hier hat
der Tw 156 die Hst Hoher Weg verlassen.
|
|
Der LOWA-Triebwagen 36 hatte den
Tag
über meist das Talent, die Fotowolke mitzuziehen. Pünktlich
zum
erscheinen dunkelte es ab und erst im letzten Moment der Kurvenfahrt in
die Gröperstraße kam die Sonne wieder langsam hervor.
|
|
Im Bereich Fischmarkt hat sich das
Stadtbild und die Streckenführung völlig gewandelt, die
Straßenbahn
wurde hier Ende der 1970er Jahre – wie in vielen Städten der DDR –
aus
dem zentralen Stadtbereich herausgenommen und erhielt neue
Streckenführungen entlang der großzügig ausgebauten
Straßen. Viele
kriegsbedingte Baulücken im Zentrum wurden erst nach der Wende
geschlossen und so
hat sich der Bereich Fischmarkt in den letzten Jahrzehnten mehrfach
völlig im Erscheinungsbild gewandelt – und der Gothazug am
Fischmarkt wirkt hier heute wie ein Fremdkörper.
|
|
Zurück in der Altstadt stimmt
das
Flair wieder, auch wenn die DDR-Baupolitik aus der schmalen, gerade ein
Straßenbahngleis fassenden Gasse Dominikanerstraße eine
dreispurige
Trasse gemacht hat.
|
|
Abweichend vom Fahrplan fuhr der Tw
31 vom Sargstedter Weg seine letzte Runde, so dass sich praktisch kein
Fahrgast in den Zug verirrt hat, die letzte Runde vom Betriebshof
übernahm außerplanmäßig der T2-62 30. An der Hst
Hoher Weg traf
der Tw auf den Leoliner-Tw 4.
|
|
Seit der Beschaffung von
Einrichtungsfahrzeugen als Ersatz für die Zweirichtungs-GT4 muss
an der
Endhaltestelle Friedhof stets mittels einer Dreiecksfahrt über den
Betriebshof gedreht werden. Da heute im Betriebshof gleichzeitig ein
Tag der offenen Tür durchgeführt wurde, war eine Hst
Betriebshof
eingerichtet, die mit den Drehfahrten – wie hier mit Tw 4 – ohnehin
bedient wurde.
|
|
Tw 39 legt mit Bw 61 in der
Bleichenstraße die letzten Meter zur Endhaltestelle Friedhof
zurück.
|
|
Die alten Zweiachser fielen bei
Kurvenfahrt stets durch das markante Kreischen auf. Um die
Belästigung
von Anwohnern zu minimieren, griff man heute kurzzeitig zu einer
besonderen Form der Kurvenschmierung – Schlagsahne aus der Dose hat den
nötigen Fettgehalt und minimiert sogleich das Kurvengeräusch.
Kleinbetriebe waren immer schon einfallsreich...
|
|
Nach und nach rückten die
letzten
Sonderumläufe in den Betriebshof ein, hier der Lindner-Tw 31 auf
den
letzten Metern.
|
|
Neuester Zugang in Halberstadt ist
seit diesem Jahr der aus Freiburg übernommene Schienenschleifwagen
405,
nun als Tw 169 eingereiht. Das Fahrzeug wurde 1952 als T2 von der
Waggonfabrik Rastatt für die Freiburger Straßenbahn gebaut
und 1982 zum
Schienenschleifwagen umgebaut. Im Zuge der Einrückrangierarbeiten
kam
der ATw 169 neben dem Tw 31 kurzzeitig an das Sonnenlicht.
|
|
Als letzter Triebwagen kehrt der Tw
30 wieder zum Betriebshof zurück – an dieser Stelle ein Danke an
alle
Verantwortlichen, dass historischer Fahrbetrieb in dieser Form noch
eine Stück Normalität zu sein scheint und
regelmäßig angeboten wird.
Den Straßenbahnern und Halberstädtern ist zu wünschen,
dass sich in
einem Zeitalter, wo alle von Elektromobilität und Klimaschutz
sprechen auch die Verantwortlichen Gedanken für
einen
langfristigen Fortbestand der umweltfreundlichen Straßenbahn
machen anstelle
des Schielens auf den Ablauf der Fördermittelbindung der
Gleissanierungen, um die Straßenbahn ohne
Rückzahlungsforderungen
abwickeln zu können.
|
|
Fotos
in Google Earth |
©
2013 Jan Borchers, www.bahnfotokiste.de |
Nach
oben |
|