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1993 und 1994 nahm
ich an zwei Reisen teil, die von Roland Ruschil veranstaltet wurden.
Damals war ich ohne Auto und auf Touren angewiesen, die nicht für
Autofahrer sondern für Mitfahrer oder Begleitung per Bus
organisiert waren. Internet gab es für die breite Masse noch
nicht, man war auf Printmedien angewiesen, um solche Touren zu finden.
Polen war fraglos neben den "Neuen Bundesländern" zu dieser Zeit
fraglos ein hochinteressantes Ziel. Nach einer Tour im Mai 1993 bei
fast durchweg bestem Wetter in und um Wolsztyn stand im September 1994
erneut eine Tour nach Polen an, diesmal nach Schlesien und in die
Ostbeskiden. Ich teile die Tour in drei Teile auf, da sie sonst zu
umfangreich würde.
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Wesentliche
Lasten des Eisenbahnbetriebes trugen bis in die späten 1980er
Jahre die ursprünglich deutschen Kriegsloks der BR 52, in Polen
als Ty2 bzw. Ty42 – dem polnischen Nachbau – bezeichnet. Die
Ty2-911 war damals abweichend von der sonst meist üblichen
Kombination mit Wannentender mit einem Schlepptender der Bauart
2´2´T26 gekuppelt.
Hier steht die Lok im MDp (Bahnbetriebswerk) Zagorz
unter der Bekohlung.
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Das Wetter
spielte auf der Tour zunächst leider überhaupt nicht mit. Die
Ty2-911 verlässt hier zwar bei Sonnenschein den Bf Olszanica,
über weite Strecken war dies zunächst der einzige
Sonnenstrahl.
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Zugezogen
hatte es sich, als Ty2-911 sich Kroscienko näherte. Kroscienko
liegt an der Grenze zur Ukraine und der Zeitzonengrenze.
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Wenn man
schon einmal an der Zeitzonengrenze ist – und dann noch
im Jahr 1994 mit einer deutschen Kriegslok – muss man
das auch fotografisch ausgiebig festhalten. Für den Verfasser war
der Aufenthalt an einer Zeitzonengrenze das erste Mal und ist es auch
bis heute das einzige Mal geblieben. Während die die polnische Uhr
14:23 zeigt, ist es für die ukrainische Uhr bereits 15:23.
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Die neuen
Zeiten waren noch recht frisch. Für wen, der mit dem Eisernen
Vorhang aufgewachsen ist, waren Aufnahmen in Grenzbahnhöfen immer
heikel. Polen gehörte zwar zu den ersten Ostblock-Staaten, die
sich dem Westen öffneten – die Ukraine gehört jedoch bis
heute zu den Staaten die sich eher Russland als dem Westen
zugehörig fühlen.
So war auch im September 1994 die Fotoaktion mit einer deutschen
Kriegslok an der Grenze zu einem anderen System mit etwas
Nervenkitzel belegt. Zu meiner
Verwunderung ließ sich während der gesamten Fotosession
keine Staatsmacht blicken. Das sollte sich rasch ändern:
Während das Groß der Reiseteilnehmer in den bereitstehenden
Bus zur Verfolgung des Zuges einstieg, machte ein Teilnehmer den
Fehler, am im Hintergrund zu sehenden Grenzergebäude das polnische
Staatswappen zu fotografieren. Hier war nun Schluss, der Fotograf wurde
von der Staatsmacht einkassiert und wir saßen auf Kohlen – der
Zug
sollte bald abfahren. Die Grenzer ließen den armen Fotografen
dann doch noch rechtzeitig frei, ob gegen Strafzahlung o.ä. ist
mir heute nicht mehr erinnerlich. Merke: Du kannst im Grenzbahnof nach
Lust und Laune fotografieren, aber wehe Du fotografierst das polnische
Hoheitszeichen! Nun, in der Scannerauflösung kann ich fast alles
des Wappens lesen...
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Noch
rechtzeitig erreichten wir den Fotopunkt nahe Kroscienko, diesmal mit
Kessel voran. Besser wurde das Wetter derweile nicht.
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Bei Brzegi
Dolne hatten wir den Zug entlang der Fernstraße 84 wieder
eingeholt, das Licht wurde weiter grauseliger. Wo man heute an der Cam
einfach auf ISO 800 oder größer stellt und daheim das
Rauschen mit einem Mausklick entfernt, wuchsen 1994 dem analogen
Fotografen die Sorgenfalten zunehmend. Nur dank einer lichtstarken
Festbrennweite ließ sich hier noch eine akzeptable Verschlusszeit
erreichen.
Damals machte man sein Foto, wusste aber – ein Highlight
werden solche Aufnahmen nicht. Dass man im Jahre 2011 aus den Aufnahmen
die Tonwerte geschickt herauskitzeln kann war seinerzeit undenkbar. So
habe ich die Aufnahmen nach der Rahmung kaum mehr angefasst.
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Damals muss
ich wohl meine Bevorzugung für höhergelegene Fotostandorte
entdeckt haben. Auf der Tour war ein japanischer Fotograf mit dabei,
der viel Wert auf gute Motive legte. Er hatte auch auf
früheren Touren erfolgreich das Heben der Arme erprobt, um das
Lokpersonal zum Öffnen des Reglers zu ermuntern. Bei diesem Zug
handelte es sich ja auch um einen Zug, der für Fotofreunde mit
Dampf fuhr.
Leider war es an diesem Standort vergeblich, kurz zuvor
schloss der Lokführer den Regler und der Zug fuhr weitgehend
dampflos in den Bf Olszanica ein. Immerhin kam die Sonne wieder leicht
durch die Wolken.
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Nahezu
modellbahnhaft fährt die Ty2-911 zwischen Jankowce und Lesko
Lukawica gen Zagorz. Am alten Bahnwärterhäuschen weist nicht
wie in Deutschland üblich ein "F", sondern ein "T" auf ein
Streckentelefon hin. Die Vegetation der Bahndämme wurde in Polen
in der Regel durch Brandrodung kurz gehalten. Da, wo in Deutschland
längst Bäume und Büsche die Sicht versperren täten,
rollt Ty2-911
dahin.
Ein Kind hatte, als sich die Fotografen versammelt
hatten, den Bahndamm geentert und sich auf einen
Kilometerstein gesetzt – "Da muss
doch was kommen". Ich hatte das Dach unseres Busses geentert,
nachdem das bereits 1993 mit Erfolg praktiziert wurde. Ein kurzer Tritt
links auf eine Stange, rechts auf die Klapptür und hoch aufs Dach.
Nachdem das 1993 kein Problem war, war diese Besteigung die letzte –
denn das Dach war nicht mehr tonnenförmig, sondern eben und der
Busfahrer sah abends aus dem Hotelzimmer Beulen im ungeformten Blech...
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In Zagorz
kam die Ty2-911 mit einer Schnellzugleistung an, die mir heute nicht
mehr erinnerlich ist. Aber im Bahnhof tobte derweil das Leben. Neben
den normalen Reisenden, den Eisenbahnern – einschließlich des
Akku-Gepäckkarren – war auch ein Teil der Reisegruppe mit unserem
Reiseleiter im Bahnhof und beratschlagte das weitere Prozedre.
Eigentlich ganz normaler Eisenbahnverkehr.
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Von Zagorz
ging es anschließend in Richtung slowakische Grenze bei Łupków.
Entlang der Strecke herrschte preußische Eisenbahntechnik vor.
Hier bei Morochów.
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Auch in
Deutschland findet man häufig verlängerte Gittermasten, das
war eine offenbar sehr früh durchgeführte Maßnahme.
Ty2-911 fährt in den Bf Szczawne-Kulaszne ein.
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Wären
die typisch polnischen Spitzenleuchten nicht, könnte man meinen
irgendwo in Deutschland fährt ein von einer Lok der Reihe 52
geführter Personenzug aus. Real fährt Ty2-911 aus dem Bf
Szczawne-Kulaszne aus.
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Kein Meister
ist vom Himmel gefallen. Irgendwie habe ich die mögliche
Rauchentwicklung einer Dampflok nicht wirklich auf der Rechnung gehabt,
als ich dieses Foto in Rzepedź machte. Lobenswert zwar, den Busch vor
dem Fahrwerk zu vermeiden und den Zug vollständig frei – aber die
Dampfwolke hinter dem Baum ist
keine Alternative... Nun, Sonne fehlt eh und so ein Foto in Rzepedź ist
besser als kein Foto.
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In dicht
besiedelten Gebieten wie in Deutschland ist man es gewohnt, dass bald
jeder Quadratmeter offenes Land bewirtschaftet ist. Hier endete jedoch
scheinbar die Welt, die Felder sind unbewirtschaftet und wild.
Siedlungen sind weit und breit nicht zu sehen. Ty2-911 fährt in
Richtung Łupków.
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Ein
Nachblick dem Zug ans Ende der Welt. Ty2-911 fährt mit ihren
damals noch alltäglichen "Ryflaki"-Wagen gen Łupków
durch die verlassene Gegend bei
Osławica.
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In Nowy Łupków
war die Fahrt erst einmal zuende. Der Sonderzug sollte nicht weiter zur
Grenze hinter Łupków gelassen werden. Erst die
Intervention des Begleiters der PKP, hier nach erfolgreicher Mission am
Überweg, ermöglichte die Weiterfahrt. Rechts im Hintergrund
ein offenbar kreatives Bahndienstfahrzeug – ein Trecker auf Schienen.
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In
Łupków findet sich anstelle der oft preußischen
Eisenbahnarchitektur Polens der Einfluss Österreichs-Ungarns. Im
September 1994 war in Łupków an der Grenze zur Slowakei die Welt
zuende.
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Ein
klassischer Meister: Mit Anzug und Krawatte samt Mütze. Ein
Vollbluteisenbahner, der die meiste Zeit seines Lebens auf der Dampflok
verbracht haben dürfte.
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Das Wetter
wurde beständig schlechter. Ty2-911 bespannte einen
Fotogüterzug von Targowiska in Richtung Kraków, ehemals
Krakau. Von diesem Zug habe ich recht wenig Bilder, das Licht muss
abgrundtief geworden sein. In Targowiska steht Ty2-911
mit ihrem Zug zur Abfahrt bereit – als erhöhter Standort dient ein
durchnässter Kieshaufen, der entsprechend nasse Füße
mit sich brachte (und einige Tage später eine deftige
Erkältung). Was tut man nicht alles für sein Hobby...
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Entlang der
Strecke in Richtung Kraków ergab
sich ein Fotostopp an einem Bahnübergang. In Polen standen
die Schränkenwärter stets mit einer gelben Fahne am Posten,
auch das Signalhorn gehört zur Ausrüstung. Dass die Dame dort
vorbildlich in vollem Ornat (mit Schlappen) steht, war Zufall und
die Fotorichtung wurde spontan auf die Klein-Szenerie gedreht.
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Im Bahnhof
von Tarnowiec wurde die Kreuzung mit einem von ST43-123 bespannten
Güterzug abgewartet – das Personal der Ty2-911 (die ehemalige 52
1346 der Deutschen Reichsbahn) kümmert sich bei dieser Gelegenheit
um die Pflege der Lok. Die Ty2-911 ist auch 2011 noch betriebsbereit –
im
Moment allerdings mit einem für die Kriegsloks typischen
Wannentender.
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