Die Eisenbahn Berlins fiel mit der alliierten Beauftragung der Deutschen Reichsbahn mit dem Eisenbahnbetrieb in ganz Berlin in ein fast 45-jähriges Dornröschendasein. Die Deutsche Reichsbahn als alleiniger Betreiber der Eisenbahnen in Berlin konzentrierte den Berliner Eisenbahnverkehr nach 1949 alsbald auf die Umfahrung des Klassenfeindes, die verbliebenen Kopfbahnhöfe im Westteil Berlins wurden bis 1952 stillgelegt – der Personenfernverkehr im Westteil Berlins beschränkte sich fortan auf den Interzonen- und den Transitverkehr. Der Nahverkehr in die Westsektoren Berlins war bis 1952 durch Elektrifizierung zahlreicher Außenstrecken auf S-Bahnbetrieb mit Kontrolle an den Außengrenzen Berlins umgestellt worden.

Seit dem Mauerbau 1961 war die S-Bahn Ziel des Boykotts des Westens gegen den Betrieb der DDR im Westen Berlins und die S-Bahnen fuhren seitdem meist wenig besetzt durch den Westen Berlins. Die Folge dieser Entwicklung waren in weiten Teilen des Westteils Berlins verödete Bahnanlagen, spätestens mit dem Streik der Westberliner Reichsbahner für jeden unübersehbar – fuhr doch die boykottierte S-Bahn plötzlich auf vielen Strecken im Westens Berlins nicht mehr. Eine fast völlige Aufgabe des S-Bahnverkehrs im Westen Berlins schien nur noch eine Frage der Zeit, nachdem die westlichen Alliierten bereits 1980 beim Streik der Reichsbahner durch Untätigkeit glänzten und die folgende Stilllegung großer Teile des Westberliner S-Bahnnetzes hinnahmen.

Neben den Strecken Schönholz – Heiligensee und Westkreuz – Spandau (– Staaken) und weiteren Strecken war auch der Bf Gesundbrunnen
mit der hier beginnenden westlichen Ringbahn von den drastischen Einschnitten betroffen. Der Niedergang des Bahnhofs Gesundbrunnen begann bereits mit der Stilllegung der Fernbahnhöfe im Westteil Berlins, seit den 1950er Jahren war der Vorortbahnsteig stillgelegt. Ab dem 13. August 1961 war Schönhauser Allee nicht mehr erreichbar, eine Menge Laufkundschaft brach dem Milieu rund um die Badstraße weg. Seit dem Reichsbahnerstreik vom September 1980 verkehrte auf der westlichen Ringbahn kein Zug mehr.

Aber es sollte noch weiter abwärts mit dem Bahnhof gehen. In der ersten Hälfte des Jahres 1984 verkehrte in Gesundbrunnen gar keine S-Bahn mehr, nachdem die BVG mit der Übernahme des S-Bahnbetriebes im Westteil Berlins ab dem 9. Januar 1984 zunächst auf die Nutzung des
auf DDR-Staatsgebiet verlaufenden Nordsüd-S-Bahn-Tunnels unter DR-Hoheit verzichtete. Nur ein paar Güterzüge und die Züge der Alliierten durchfuhren noch den menschenleeren Bahnhof Gesundbrunnen.

BR 480 Gesundbrunnen

Dieses Foto vom März 1992 zeigt den seit 1980 funktionslosen Übergang zur Ringbahn – im Hintergrund fährt ein 480 in Richtung Humboldthain aus. Das Bahnhofsgebäude Gesundbrunnen war – wie anhand der Baustilübergänge gut erkennbar – ein Nachkriegswiederaufbau auf alten Mauern.
Bf Gesundbrunnen

Der frühere Bahnsteigzugang zur Ringbahn mit seinem noch original erhaltenen Zugangsgebäude. Das Bahnsteigdach des Ringbahnsteiges wurde noch vor dem Mauerfall aufgrund Baufälligkeit abgerissen.
Bf Gesundbrunnen

Der Ringbahnsteig und die am 13. August 1961 stillgelegte Ausfahrt in Richtung Schönhauser Allee, wo längst ein dichter Birkenwald die Gleistrasse überwuchert hat. Auf dem rechten Streckengleis fuhren auch noch nach Baubeginn des Nordkreuzes die Güterzüge und die Züge der Alliierten von und nach Schönholz/Tegel.

Bf Gesundbrunnen

Der Bahnhof Gesundbrunnen gesehen von der Millionenbrücke, im Hintergrund ein aus Humboldthain einfahrender Zug. In der Mitte sind die verfallenen Reste des in den 1950er Jahren stillgelegten Fernbahnsteiges zu erkennen.

Bf Gesundbrunnen

Zehn Jahre später hatte sich das Areal völlig verändert. Im und um den Bahnhof blieb kein Stein auf dem anderen. Ausschließlich der Bau im Hintergrund findet sich auch auf dem obigen Bild vom März 1992. Die Ringbahn ist geschlossen – sie wurde zunächst allerdings nicht als Vollring mit "endlosen" Zügen betrieben, sondern mit Zügen, die nach einer Ringrunde auf die Außenstrecken abgeleitet wurden. Die BR 477/877 kam in der ersten Fahrplanperiode noch auf der Ringbahn zu Einsatz und nicht wenige Lokführer schilderten entgegen der Weisung auch "Vollring über West- oder Ostkreuz", wie es nach dem Krieg durch die Aufgabe des Potsdamer Ringbahnhofs üblich war. Hier fährt ein 477-Vollzug nach der Ringrunde als S8 gen Grünau aus dem Bf Gesundbrunnen aus. Im Hintergrund ein Zug der S25 mit der BR 480, welche damals auf den Tunnelstrecken noch üblich war. Nach mehreren Bränden von Triebwagen der BR 480 wurde der Einsatz der Baureihe im S-Bahntunnel untersagt.

275 959 am Gesundbrunnen

Im Mai 2006 war die Ringbahn längst wieder Alltag in Berlin. Am 27. Mai 2006 wurde der neue Berliner Hauptbahnhof feierlich in Betrieb genommen und die Historische S-Bahn fuhr mit ihren Traditionszügen noch regelmäßig auf den Berliner S-Bahnstrecken. Der Halbzug aus den Zügen 275 959/954 und 475/875 605 verkehrte an diesem Tag als Gedenkfahrt für den kurz zuvor verstorbenen Berliner S-Bahnkenner und -autor Carl W. Schmiedeke über das S-Bahnnetz und verabschiedete mit diesen Fahrten auch die gleichzeitig endgültig außer Betrieb gehende Nordkurve am Ostkreuz. Hier setzt der Zug am Gesundbrunnen wieder ein.

Gesundbrunnen

Völlig anders die Szenerie 14 Jahre zuvor im März 1992. Hier hatte sich seit dem Mauerfall 1989 noch nichts getan, die östlichen Gleisanlagen waren an dieser Stelle nach 1961 gründlichst umgestaltet worden und ließen einen einfachen Lückenschluss nicht zu. Das frühere Streckengleis nach Schönhauser Allee dürfte noch lange Jahre zum Abstellen von S-Bahnzügen gedient haben und verfügte entsprechend über ein Gleissperrsignal, während das Streckengleis von Schönhauser Allee nach dem Mauerbau ohne Verkehr war. Rechts das verbliebene Gütergleis nach Schönholz.

Gesundbrunnen

Die Abstellanlage Gesundbrunnen unterhalb der Millionenbrücke mit Blick zum Bahnsteig Gesundbrunnen. Im September 1980 setzten von hier die letzten Züge der westlichen Ringbahn ein.

Gesundbrunnen

Die aus Wedding kommende Ringbahn, nur ein Gütergleis wurde noch regelmäßig befahren. Nach links (ganz links das stillgelegte AEG-Anschlussgleis) zweigt das bis ca. 1968 elektrisch befahrbare Gleis der Anbindung des 1984 stillgelegten Bw Nordbahnhof und des Anschlusses Liesenstraße ab – mittels Sägefahrten konnten so die nicht mit der Nordsüd-S-Bahn verbundenen Ringbahngleise erreicht werden.

Gesundbrunnen

17 Jahre später fährt an gleicher Stelle, nur etwas nach Norden verschoben, ein Dreiviertelzug der Ringbahnlinie S41 in den Bahnhof Gesundbrunnen ein. Die einfachen Stahlbrücken über die Gleise der Nordsüdbahn sind einem umgfangreichen Tunnelbauwerk gewichen, welches die früher nicht vorhandene Verknüpfung der Ringbahn mit den Außenstrecken und dem Nordsüd-S-Bahntunnel ermöglichte. Die Ferngleise sind heute wichtige Zulaufstrecken des Fernbahntunnels aus Richtung Norden und den Zugbehandlungsanlagen in Rummelsburg bzw. Lichtenberg.

Bf Gesundbrunnen

2009 waren zwar die meisten der stillgelegten S-Bahnstrecken wieder in Betrieb und die S-Bahn hätte wieder an ihre früheren Glanzzeiten anschließen können. Dies hat die DB in den Jahren zuvor jedoch gründlich versiebt, indem aus dem Unternehmen große Gewinnerträge für eine schöne Konzernbilanz gezogen wurden. Was am 1. Mai 2009 mit einem unscheinbaren Radscheibenbruch an einem 481 in Kaulsdorf begann, endete im größten Fiasko, welches die Eisenbahn in Deutschland nach dem Krieg erleben musste.
Von 632 vorhandenen Viertelzügen waren zeitweise nur noch rd. 160 Viertelzüge einsetzbar und zahlreiche Strecken mussten aufgrund des Fahrzeugmangels wochenlang stillgelegt werden. In den Werkstätten wurden Schlampereien und Fälschungen entdeckt, so dass das EVU S-Bahn Berlin GmbH kurz vor dem Entzug der Betriebserlaubnis stand. Dem schon länger kränkelnden Traditionsbetrieb der S-Bahn machte die Entgleisung eines historischen Zuges aufgrund dieser Wartungsmängel endgültig den Garaus.
Nebenbei stellte man auch fest, dass die Radsätze der BR 485/885 seit Jahren keine Zulassung mehr besaßen – sie wurden daraufhin bis zum Radsatztausch komplett abgestellt. Die einst mit Stolz vorgezeigte – in Eigenregie konstruierte und gefertigte – Panorama-S-Bahn verschwand gleichzeitig "aus Solidarität" von den Gleisen (wie will man auch Stadtrundfahrten anbieten, wenn man gleichzeitig Strecken stilllegt und nur einen Notbetrieb fährt). Bei einer späteren Betrachtung der Parameter der Panorama-S-Bahn wurden auch hier Unregelmäßigkeiten offenkundig, so dass deren Wiederinbetriebnahme derzeit nicht sehr wahrscheinlich ist.
Aus den Wechselstrom-S-Bahnbetrieben der DB kamen Triebzüge der BR 423/433 als Nothilfe nach Berlin, sie verkehrten einige Monate zwischen Südkreuz und Gesundbrunnen – einzelne Fahrten bis nach Hennigsdorf verlängert – sowie auf der Berliner Stadtbahn zwischen Ostbahnhof und Potsdam. Im Bf Gesundbrunnen kam es zu diesem eigentlich nicht üblichen Treffen zweier grundverschiedener S-Bahntypen der DB.

Bf Gesundbrunnen

Ein paar Meter südlicher als das oben gezeigte Foto entstand diese Aufnahme vom März 1992 mit dem aus dem Bf Gesundbrunnen ausfahrenden 475 017. Aufgrund von Bauarbeiten endeten die Züge der S2 an diesem Tag in Gesundbrunnen und fuhren auf dem gleichen Gleis wieder aus dem Bahnhof aus.

Bf Gesundbrunnen

Ein Jahr später im März 1993 hatten am Gesundbrunnen die Abrissarbeiten begonnen. Nur das alte Empfangsgebäude am Gesundbrunnen steht noch. 475 094 fährt nach Oranienburg aus, der Lückenschluss Frohnau – Hohen Neuendorf konnte bereits am 31. Mai 1992 vollzogen werden.

Bf Gesundbrunnen

Wüst sah es im März 1993 nach Beseitigung aller Vegetation in der Kurve am Gesundbrunnen aus, wo die eine oder andere Stellwerksruine die Jahre hinter Bäumen eingewachsen überdauert hatte.

Nordkreuz

Blick in die andere Richtung neun Jahre später im Juni 2002 zum Bahnhof Bornholmer Straße. Die Bauarbeiten zum Nordkreuz sind abgeschlossen und die Verbindung zur östlichen Ringbahn hergestellt.
Die BR 485/885 war noch vollständig mit einem Einsatzbestand von 166 Zügen im Einsatz. Um die vom Berliner Senat nach dem Wechsel des DB-Finanzvorstands Sarrazin zum Finanzsenator Berlins eingekürzten Bestellgelder auszugleichen, fuhr die S-Bahn Berlin fortan ein rigides Sparprogramm und stellte ab 2003 alle 485/885 bei Fristablauf ab. Nach dem Zusammenbruch der Berliner S-Bahn wurden alle verbliebenen Züge der BR 485/885 umfassend technisch aufgearbeitet und 20, zum Teil seit Jahren abgestellte Viertelzüge wieder in Betrieb genommen. Derzeit verfügt die S-Bahn Berlin noch über 80 Viertelzüge der BR 485/885.


Bornholmer Straße

Im März 1993 stand noch dieser Teilbereich der Berliner Mauer an der Bornholmer Straße. Der zweite Bahnsteig des Bahnhofs Bornholmer Straße war bereits im Bau, bis die östliche S-Bahn an diesen Bahnsteig fahren konnte, sollten jedoch noch acht Jahre vergehen.

Bornholmer Straße

Mit der Mauer fielen die Verbindungen Gesundbrunnen – Schönhauser Allee und Bornholmer Straße – Pankow den Grenzsicherungsmaßnahmen zum Opfer. Der im Ostteil Berlins liegende Bf Bornholmer Straße diente dem westlichen S-Bahnverkehr, die Bahnsteige waren am 13. August 1961 geschlossen worden.
Die 1952 auf den Fernbahngleisen provisorisch geschaffene Verbindung Schönhauser Allee – Pankow,
"Stalinkurve" genannt, konnte die nun fehlenden Verbindungen nicht ersetzen. Die DDR errichtete daher in einer Rekordbauzeit von drei Monaten eine eigene S-Bahnneubautrasse Schönhauser Allee – Pankow mit Unterführungsbauwerk unter der Stettiner Bahn hindurch (sog. "Ulbrichtkurve"). Nach dem Mauerfall war eine Verschwenkung der S-Bahntrasse an den Bahnsteig Bornholmer Straße aufgrund der umfangreichen Umgestaltung der Anlagen in diesem Bereich ausgeschlossen. 1991 wurden an der Bornholmer Straße bis zur Realisierung des Projekts Nordkreuz mit der Neuordnung der S-Bahn- und Fernbahngleise auf östlicher Seite zwei provisorische Bahnsteige errichtet, die erst 2001 überflüssig wurden.

Zur Übersicht © 2013 Jan Borchers, www.bahnfotokiste.de Nach oben